Antibiotika – zwischen Resistenz und Revolution

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Als Wundermittel haben sie die Geschichte der medizinischen Therapie im 20. Jahrhundert revolutioniert und retten jährlich Millionen von Menschen das Leben. Doch mittlerweile trübt eine heimliche Gefahr die Erfolgsgeschichte der Antibiotika. Das Schreckgespenst der multiresistenten Keime schleicht sich als Hiobsbotschaft ins öffentliche Bewusstsein und sagt dem noch keine 100 Jahre alten Therapeutikum den Kampf an. Was es aktuell zu wissen lohnt, wie jeder verantwortungsvoll handeln kann und wie alles entstand, lesen Sie hier.

Wahrscheinlich gibt es nur ganz wenige Menschen, die noch nie ein Antibiotikum verordnet bekommen und eingenommen haben. Und auch wenn jede Erkrankung zunächst eine persönliche Geschichte ist, so liegt doch im Einsatz von Medikamenten eine Verantwortung, die über die Einzelperson weit hinausgeht. Dies gilt besonders bei den Antibiotika. Und je mehr Wissen man von diesem für die Menschen so segensreichen Therapeutikum hat, desto besser – für alle.

Der Begriff Antibiotikum kommt aus dem Griechischen, zusammengesetzt aus „anti“, in der Bedeutung „gegen“, und „bios“, in der Bedeutung „Leben“. Mit „Antibiose“ – auch ein wichtiges Phänomen in der Verhaltensbiologie – wird eine Beziehung bezeichnet, in der für einen der Beteiligten Nachteile entstehen, die sein Wachstum stark beeinträchtigt und die ihn schließlich abtötet. Auf molekularer Ebene wird damit der Vorgang des Abwehrmechanismus beschrieben. Das menschliche Immunsystem wirkt antibiotisch gegen pathogene, sprich potenziell krankmachende Bakterien, weil es sie abtöten kann.

Ist das Immunsystem geschwächt, kann es also selbst nicht ausreichend antibiotisch agieren, werden in der Medizin – als Mittel für die antibakterielle Therapie – Antibiotika eingesetzt. Dabei unterscheidet man Stoffe, die biologischen Ursprungs sind – Antibiotikum im ursprünglichen Sinn wie Penicillin –, von den synthetisch hergestellten Stoffen, sogenannte Chemotherapeutika. Allgemein werden aber beide Arten von Therapeutika heute als Antibiotikum bezeichnet.

Wann sind Antibiotika sinnvoll?

Grundsätzlich wirken Antibiotika nur bei bakteriell verursachten Infektionen. Gegen Viren sind sie machtlos, und damit gegen die meisten Erkältungskrankheiten, gegen Grippe und Masern. Es gibt Krankheiten, die stets durch Bakterien ausgelöst werden, darunter Tuberkulose, Scharlach, Borreliose, Wundrose, Keuchhusten oder Harnwegsinfekte. Allerdings gibt es auch Erkrankungen, die bakteriellen oder viralen Ursprung haben können, wie etwa Lungenentzündungen oder Durchfallerkrankungen. Es kann aber auch zu einer Überlagerung beider Erregerarten kommen. Dann spricht man von einer bakteriellen Superinfektion: Der virale Infekt bildet die Grundlage für einen weiteren, bakteriellen Befall desselben Organismus. Die Notwendigkeit, die richtige Therapie sorgfältig zu eruieren, ist deshalb immer Sache des Arztes. Zunächst muss er den Auslöser der Infektion diagnostizieren, bevor er die richtigen Maßnahmen und damit auch die richtige Medizin verschreibt. Dabei spielen weitere Faktoren wie das Alter des Patienten, sein allgemeiner körperlicher Zustand, eventuell existente Vorerkrankungen oder eine vorhandene grundsätzliche Immunschwäche bei der Wahl der passenden Therapie eine entscheidende Rolle.

Pilzkulturen für Antibiotikum in einer Petrischale bei einem Forschungsprojekt. Foto: Adobe.Stock
Wirkmechanismen und Resistenzen

Der richtige Umgang mit Antibiotika ist mittlerweile eine Angelegenheit von enormer Bedeutung – für jeden Einzelnen ebenso wie für die ganze Menschheit. Denn auch wenn die Forschung seit der Entdeckung und Herstellung der ersten antibiotischen Therapeutika ständig weiterforscht und es mittlerweile eine Vielzahl an unterschiedlichen und regelmäßig neuen Antibiotika-Präparaten gibt, bleibt das biologische Prinzip bestehen, dass die Bakterien lernfähig sind und damit unempfindlich, also resistent gegenüber einem Therapeutikum werden können.

Schon Alexander Fleming, der Entdecker des Penicillins, war sich dieser indirekten Gefahr des neu gefundenen Therapeutikums bewusst, als er bei seiner Rede anlässlich des Erhalts des Nobelpreises die Warnung aussprach: „Wenn du Penicillin nimmst, dann nimm genug davon!“ Penicillin ebenso wie synthetische Antibiotika wirken ja, indem sie die Bakterien bei der Zellteilung angreifen und schwächen, also im Stadium der Zellvermehrung, dem Aufblühen einer durch sie ausgelösten Infektion. Wirkt das Antibiotikum, dann wird die Vermehrung verhindert, die Krankheitssymptome gehen zurück. Im Körper bleiben schließlich nur noch sich nicht teilende Bakterienzellen. In diesem Zustand fühlt sich der Patient oft schon wieder fitter.

Wird nun gegen die ärztliche Verordnung das Antibiotikum zu früh abgesetzt, kann das Bakterium von Neuem ungehindert zur Vermehrung ansetzen. Wird das Antibiotikum aber über diesen Zeitpunkt hinaus, an dem die Symptome schon deutlich nachgelassen haben, nur wenige Tage länger eingenommen, werden die restlichen sich nicht teilen könnenden Bakterien endgültig vom Organismus „entsorgt“. Antibiotika müssen deshalb auch unbedingt eine gewisse Folgezeit nach dem Abklingen der Symptome noch genommen werden. Neueste Forschungen zielen darauf ab, diese notwendige Einnahmedauer zu optimieren, also möglichst genau definieren zu können. Denn über Gebühr langes Einnehmen kann unnötige Resistenzen provozieren.

Vorbeugen kann jeder

Immer mehr Patienten infizieren sich inzwischen mit antibiotikaresistenten Bakterien. Das bestätigen neueste Daten. Deshalb ist der umsichtige Einsatz von Antibiotika eine Aufgabe, die jeden Einzelnen etwas angeht. Jeder kann mit einfachen Methoden dazu beitragen, resistente Bakterien an der Ausbreitung zu hindern und Infektionen vorzubeugen. Ziel ist es dabei unter anderem, mittels der Reduzierung im Verbrauch von Antibiotika und der sachgerechten Entsorgung von Medikamentenresten auch künftig die Wirksamkeit von Antibiotika zu erhalten.

Von Herbst bis in den Frühling hinein haben Infektionen Hochsaison. Selbst wenn jemand nicht auffällig krank ist, kann er als Träger und damit auch Multiplikator von krankmachenden Bakterien und Viren unterwegs sein. Somit sind öffentliche Orte, Konferenzzimmer, Schulen, Konzertsäle, Geschäfte, öffentliche Verkehrsmittel, Lifte, Treppengeländer, Einkaufswagen, einfach überall wo Menschen unterwegs sind und Gegenstände, die gemeinsam benutzt und berührt werden, potenzielle Bakterien- und Virenträger. Die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände hat Hygienetipps, speziell auch zur Vermeidung von Infektionen der Atemwege zusammengestellt:

• Waschen Sie mehrmals täglich die Hände mit Wasser und Seife für 30 Sekunden, auch zwischen den Fingern.

• Händewaschen ist außerdem Pflicht nach jedem Toilettengang, vor jeder Mahlzeit sowie nach Kontakt mit Tieren und rohem Fleisch.

• Putzen Sie sich die Nase mit Einmaltaschentüchern und entsorgen Sie diesen anschließend umgehend. Waschen Sie nach dem Naseputzen die Hände.

• Husten oder niesen Sie nicht in die Hand, sondern in die Armbeuge. Halten Sie dabei möglichst großen Abstand zu anderen Menschen.

• Berühren Sie Ihr Gesicht möglichst wenig mit den Händen.

• Lüften Sie mehrmals täglich. Am besten das Fenster für einige Minuten komplett öffnen. Das sorgt für ein besseres Raumklima.

Antibiotikaresistente Bakterien im Innern eines Biofilms (3D-Abbildung). Der Biofilm ist eine Gemeinschaft von Bakterien, die eine Antibiotikaresistenz erwerben und über Quorum-Sensing-Moleküle miteinander kommunizieren. Foto: Adobe Stock
Antibiotika und Nebenwirkungen

So oft wie nötig und so selten wie möglich: Das ist die medizinische Richtschnur, nach der Antibiotika verabreicht werden. Eine Verordnung ist deshalb nie leichtfertig, sondern nach Prüfung der Notwendigkeit. Allerdings kann auch die verordnete Einnahme Nebenwirkungen für den Körper haben. Magen-Darm-Beschwerden, Durchfall, Bauchschmerzen und Übelkeit, allergische Reaktionen der Haut wie Rötung und Juckreiz und bei Frauen Scheidenpilz-Infektionen gehören zu den bekanntesten.

Es ist immer sinnvoll, hier selbst aufmerksam zu sein, seinen Körper bei der Einnahme von Antibiotika auch im Hinblick auf Nebenwirkungen zu beobachten. Sollten Fragen zu Veränderungen aber auch Befürchtungen aufkommen, sind immer eine Rückmeldung an den behandelnden Arzt und ein Gespräch der richtige Weg, um das weitere Vorgehen zu klären. Auch etwa, um zu erfahren, ob eine Nebenwirkung vorübergehend in Kauf genommen werden kann, weil diese nach Beendigung der Antibiotikabehandlung wieder abklingt und zunächst die Therapie mit dem Medikament Vorrang hat.

Antibiotika in der Lebensmittelindustrie – DART 2020

Das Bundesministerium für Gesundheit, das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft und das Bundesministerium für Bildung und Forschung haben zusammen mit Verbänden und Organisationen die Deutsche Antibiotika-Resistenzstrategie 2020 (DART) erarbeitet. Diese thematisiert die Resistenzbekämpfung bei Menschen und auch bei Tieren. Bezüglich des Menschen sind hierbei vor allem eine permanente und gruppenspezifische Fortbildung und Aufklärung vorgesehen, um so vermeidbare Infektionen und daraus resultierende Todesfälle weiter zu reduzieren. Jedes Jahr erkranken in Deutschland etwa 400.000 bis 600.000 Menschen durch sogenannte nosokomiale, in zeitlicher Nähe zu einer Behandlung im Krankenhaus entstandene Infektionen. Schätzungsweise 10.000 bis 15.000 Patienten sterben daran. Bereits durch eine bessere Einhaltung von bekannten Hygieneregeln wären davon zwischen 20 und 30 Prozent dieser nosokomialen Infektionen und Todesfälle vermeidbar.

In der Landwirtschaft wurde das Thema Antibiotikaverabreichung lange nicht so ernst genommen. 2006 setzte die EU allerdings zunächst ein Verbot zum Einsatz von Antibiotika als Wachstums- oder Leistungsfördermittel in der Futtermittelindustrie in Kraft. Und im Lauf des letzten Jahrzehnts erließ die Bundesregierung schrittweise weitere Verfahren und Gesetze mit dem Ziel eines umsichtigeren und somit auch reduzierteren Einsatzes der Therapeutika. Gaben die Veterinäre 2011 noch 1.706 Tonnen Antibiotika ab, so waren es 2016 immerhin nur noch 746 Tonnen. Die qualitative und quantitative Verwendung wird mittlerweile regelmäßig kontrolliert, auch die Auswirkung für den Menschen hinsichtlich der Gefahren der Resistenz wird in immer stärkerem Maße konsequent untersucht.

Forschung und Pharmaindustrie

In der Forschung ist das Thema Antibiotikum und Resistenzen ein hochaktuelles Thema. Dabei wurden unter anderem an der Universität Tübingen in den letzten Jahren wesentliche Schritte unternommen. So waren Tübinger Wissenschaftler beteiligt an der vom Ministerium für Gesundheit 2016 bei der WHO in Auftrag gegebenen Erstellung einer Prioritätenliste für die Forschung. Auch um Fördergelder gezielter einsetzen zu können und Anreize für die private Forschungsgruppen, die Pharmaindustrie sowie die Universitäten zu schaffen. Über 70 Experten aus Europa, Amerika, Asien, Afrika und Australien haben daran mitgearbeitet.

Anfang 2019 erhielt die Universität Tübingen nun die Förderung für das Exzellenzcluster „Kontrolle von Mikroorganismen zur Bekämpfung von Infektionen (CMFI)“. Hier arbeiten Forscherinnen und Forscher aus molekularen, bioinformatischen und klinischen Disziplinen zusammen. Erklärtes Ziel ist es, neue zielgerichtete Wirkstoffe zu entwickeln, die sich positiv auswirken auf Mikrobiome – das sind mikrobielle Gemeinschaften, die überall die Oberflächen des menschlichen Körpers besiedeln.

In der Vergangenheit hat man gegen die potenziell tödlichen Krankheitserreger, die in diesen mikrobiotischen Gemeinschaften neben den Bakterien, die den Körper positiv beeinflussen, existieren, sogenannte Breitbandantibiotika eingesetzt. Damit wurden – das weiß man heute – Antibiotikaresistenzen gefördert und mitunter Mikrobiome in Gänze geschädigt. Mittlerweile weiß man auch, dass in diesen Mikrobiomen die nützlichen Bakterien die gefährlichen in Schach halten können. Wie funktioniert das und kann man diesen in der Natur existierenden Mechanismus nutzbar machen für die Bekämpfung von Infektionen? Außer den verschiedenen Universitätsinstituten beteiligen sich an dieser Forschungszusammenarbeit auch das Universitätsklinikum Tübingen und das Deutsche Zentrum für Infektionsforschung. Eines ist sicher: Die Geschichte der Forschung und Entdeckung in der Medizin und der daraus resultierenden Entwicklung von Therapien und Therapeutika wird ständig fortgeschrieben. 

Text: Gabriela Rothmund
Wichtige Regeln im Umgang mit Antibiotika

• Antibiotika sollten ausschließlich nach ärztlicher Verordnung eingenommen werden.

• Antibiotika sollten so lange und in der Dosierung eingenommen werden, wie vom Arzt vorgesehen.

• Reste von Antibiotika sollten nicht aufgehoben oder von Patienten bei der nächsten Infektion auf eigene Faust eingenommen werden.

• Antibiotika sollten nicht an andere Patienten weitergegeben werden.

• Antibiotika sollten über den Hausmüll entsorgt werden, aber nicht über die Toilette oder das Waschbecken. Die Entsorgung von Antibiotika über das Abwasser verbreitet die Substanzen in die Umwelt und fördert so die Entstehung von Resistenzen. Einige Apotheken bieten als freiwilligen Service an, Arzneimittelreste zu entsorgen.

Geschichte des Antibiotikums

In die medizinische Wissenschaft eingeführt hat den Begriff „Antibiose“ der französische Mykologe Paul Vuillemin, als er 1889 erstmals das Konzept der Antibiose formulierte. Doch bis es 1942 zur Einführung der Bezeichnung Antibiotikum durch den russisch-US-amerikanischen Biochemiker Selman Abraham Waksman kam, war es für die Forschung noch ein weiter Weg. Schon in den 1890er-Jahren haben – ohne voneinander zu wissen – der italienische Arzt und Mikrobiologe Bartolomeo Gosio und der französische Militärarzt Ernest Duchesne Beobachtungen und Versuche zum Schimmelpilz durchgeführt und publiziert. Ihre Arbeiten wurden in der Wissenschaft jedoch nicht weiter aufgegriffen.

Das erste zur Therapie eingesetzte und von vielen als erstes echtes Antibiotikum bezeichnete Arzneimittel war das vom deutschen Mediziner Paul Ehrlich (1845–1915) entwickelte Arsphenamin. Die organische Arsenverbindung beruht auf künstlich hergestellten Farbstoffen und wurde durch die in Frankfurt am Main ansässigen Farbwerke Hoechst – später Chemie- und Pharmaunternehmen – unter dem Namen Salvarsan produziert. Der deutsche Pathologe und Bakteriologe Gerhard Domagk (1895 – 1964) forschte als Leiter des Labors für experimentelle Pathologie der I. G. Farben im Bayer-Stammwerk in Wuppertal-Elberfeld zusammen mit mehreren Chemikern in Fortführung der Erkenntnisse von Paul Ehrlich weiter an der Entwicklung von antibakteriell wirksamen Verbindungen. 1936 kam das Medikament Prontosil auf den Markt. Gerhard Domagk erhielt dafür den Nobelpreis.

Der Durchbruch in der Erforschung natürlich vorkommender antimikrobieller Wirkstoffe gelang dem schottischen Mediziner und Bakteriologen Alexander Fleming (1884 – 1955). Er konnte nachweisen, dass ein Pilz aus der Gruppe der Penicillium (= seiner Form nach „Pinselschimmel“ genannt) eine große Zahl gefährlicher Krankheitserreger abtötet, ohne dabei den Körperzellen zu schaden. Diese Qualität, die fehlende Toxizität, unterschied das von ihm nun Penicillin genannte Therapeutikum von den bereits auf dem Markt befindlichen Chemotherapeutika. Gemeinsam mit Howard Florey und Ernst Chain gelang 1940 die reine chemische Darstellung, die Geburtsstunde des Medikaments Penicillin war gekommen. Zunächst in Amerika und nach dem Krieg dann auch in Deutschland kam die industrielle Herstellung in vollen Gang. Die Forscher Fleming, Florey und Chain erhielten 1945 gemeinsam den Nobelpreis für Medizin.

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