„Reparaturbetrieb wäre zu kurz gegriffen“
Seit fünf Jahren leitet Erik Bodendieck als Präsident die Geschicke der Sächsischen Landesärztekammer. Der Mediziner, der in Wurzen eine Allgemeinarzt-Praxis führt, liebt es zu gestalten und die richtigen Weichen zu stellen in der rasanten Fortentwicklung unserer Gesundheitslandschaft. Angesichts unseres Themenschwerpunkts haben wir uns mit dem gebürtigen Leipziger in seinem Büro getroffen, um über den Stellenwert der Prävention in der sächsischen Gesundheitslandschaft zu sprechen.
Warum ist die Prävention so wichtig für unsere Gesellschaft?
Erik Bodendieck: Die Gesundheit ist ein Menschenrecht. Und für deren Aufrechterhaltung gilt es entschieden einzutreten. Gesundheit lässt sich aber nicht nur vereinfacht als das Fehlen von Krankheit beschreiben. Auch Menschen mit Erkrankungen oder Behinderungen müssen in die Gesellschaft integriert werden, haben ein Recht auf Gesundheit. Man muss also einerseits die Vorbeugung vor Erkrankungen stärken, was sich oft in der Arbeitswelt abspielt. Da haben wir etwa berufsgenossenschaftliche Präventionsprojekte, die sich mit gesundheitsgerechten Arbeitsbedingungen beschäftigen, um eventuellen Berufseinschränkungen vorzubeugen. Andererseits müssen wir aber auch verhindern, dass im Falle einer Erkrankung schwerere Schäden eintreten. Das anschaulichste Beispiel dabei ist die Volkskrankheit Diabetes Mellitus. Durch eine Anpassung von Lebens- und Verhaltensweisen gilt es, Typ 2 und Folgeerkrankungen wie den diabetischen Fuß zu verhindern. Auch das ist Prävention, die übrigens oft mit rehabilitativen Maßnahmen übereinstimmt.
Welche konkreten Präventionsprojekte werden aktuell von der Landesärztekammer verfolgt?
Wir sind auf verschiedenen Feldern tätig. Bei einem Projekt geht es um die Erkennung und Verhinderung von häuslicher Gewalt. Ein Problem, das uns schon lange umtreibt, und das während der Corona-Pandemie ja leider noch akuter geworden ist. Auch deshalb ist in unserem Haus die medizinische Kinderschutzkoordination für Sachsen untergebracht. Wir leisten aber auch in Schulen Aufklärung und unterstützen Referendare im Umgang mit Erkrankungen von Schülern. Das große Thema der Organspende haben wir mit einem Jahr der Organspende angesprochen, bei dem es auch stark um präventive Maßnahmen ging. Zudem unterbreiten wir regelmäßig zu diesem Thema Unterrichtsangebote „Nachdenken über Organspende“ für Lehrer und Schüler.
Vorbeugende Maßnahmen sind seit 2016 im Präventionsgesetz rechtlich verankert. Haben Sie den Eindruck, dass die Ärzte in Sachsen leisten können, was das Präventionsgesetz fordert?
Eigentlich kommen die Ärzte im Präventionsgesetz nur an sehr untergeordneter Stelle vor. Im Wesentlichen fokussiert es sich auf die Arbeits- und Betriebsmedizin, wobei die präventiven Maßnahmen von den Krankenkassen bezahlt werden. Aus historischen Gründen wird die Aufgabe der Ärzte vielerorts noch auf die Heilung von Krankheiten begrenzt. Aber ein reiner „Reparaturbetrieb“ wäre viel zu kurz gegriffen. So kennen die Hausärzte den Familienverbund meist am besten. Sie wissen um Vorerkrankungen in der Familie und können eine sogenannte erlebte Anamnese erheben. Hausärzte, wie ich ja selbst einer bin, begleiten ihre Patienten oft ein Leben lang und können frühzeitig einschätzen, wann etwa Vorsorgeuntersuchungen in Angriff genommen werden sollten. Das ist Prävention. Aber auch Impfungen oder Ernährungsberatungen sind präventive Maßnahmen.
Können die niedergelassenen Ärzte solche präventiven Aufgaben überhaupt leisten?
Sie leisten das ja schon längst, nur wird es oft nicht gesehen und dadurch leider auch nicht gewürdigt. Beratungen gehören zum Aufgabenspektrum unbedingt dazu. Auf alle Fälle im hausärztlichen Bereich, aber auch in anderen Fachgebieten. Das Problem ist allerdings, dass für die Beratung oft schlicht die Zeit zu knapp ist.
Wie würden Sie die medizinische Landschaft in Sachsen hinsichtlich der Präventionsangebote einschätzen? Gibt es Versorgungslücken?
Ich glaube, wir sind in Sachsen vom Papier her gut aufgestellt. Denn es gibt ja zahlreiche Angebote von den Krankenkassen oder eben den Berufsgenossenschaften. Auch die Schulgesundheitspflege spielt eine wichtige Rolle. Was wir aber brauchen ist ein besserer Überblick und eine bessere Koordination. Betroffene müssen heute in Recherchearbeit gehen und die entsprechenden Maßnahmen bei den verschiedenen Anbietern mühevoll herausfiltern.
Kann die Digitalisierung hierbei helfen?
Die Digitalisierung bietet in dem Zusammenhang in mehrfacher Hinsicht Chancen. Auf der einen Seite kann uns schon ein zentrales Portal helfen, auf dem alle Anbieter von Prävention ihre Angebote einstellen und diese nach Kategorien sortieren. Mit anderen Perspektiven der Digitalisierung beschäftigen wir uns in der Landesärztekammer im Ausschuss „Prävention und Rehabilitation“. Da geht es beispielsweise um die Zusammenführung von Patientengruppen zu Präventionszwecken. Denn wir merken bei den Patienten immer wieder, dass ein ganz anderes Vertrauensverhältnis zu Menschen besteht, die von ähnlichen Krankheitsverläufen betroffen sind. Ein anderer Aspekt betrifft wiederum die Potenziale von digitalen Anwendungen für das Patienten-Monitoring. Das können etwa Sturzsensoren in Wohnungen oder das Sammeln von medizinischen Daten ohne Praxisbesuch sein. Da gibt es vielversprechende technische Entwicklungen, die es uns ermöglichen, bei Verschlechterungen des Gesundheitszustands früher einzugreifen. Da sehe ich ein riesiges Potenzial.
Die Betriebliche Gesundheitsförderung eignet sich gut für Präventionskonzepte. Haben Sie den Eindruck, dass die entsprechenden Maßnahmen bei den Unternehmen ergriffen werden?
Es ist ein gutes Konzept. Die Frage ist nur, ob sich die Betriebliche Gesundheitsförderung immer umsetzen lässt. Das hängt natürlich von der Betriebsgröße ab. Ein kleineres Unternehmen hat wahrscheinlich nicht immer die finanziellen Mittel für ein entsprechendes Konzept. Diese Firmen können sich aber an die Berufsgenossenschaften wenden, die dabei gerne helfen.
Interview: Philipp Demankowski