Gesundheitskolumne von Dr. Katja Scarlett Daub: Warum Apotheker fragen?
„Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker“ – Die Apothekerin Dr. Katja Scarlett Daub berichtet von ihrer Arbeit.
Hier wollen wir einen Blick in den Apotheken-Alltag werfen, um etwas Licht ins Dunkel zu bringen und am Beispiel klassischer Situationen um Verständnis zu werben, dass Apotheker den Patienten Fragen stellen:
WELCHE AUSGANGSSITUATIONEN GIBT ES?
Entweder bekommen wir ein Rezept vorgelegt, oder aber der Patient kommt mit gesundheitlichen Belangen zu uns und wünscht Linderung seiner Beschwerden bzw. möchte mit Präventiv maßnahmen Erkrankungen vermeiden und sein Wohlbefinden stärken.
DER REZEPTKUNDE
Widmen wir uns zunächst dem Rezeptkunden. Hier bekommen wir auf einen Blick sehr wesentliche Informationen: Alter und Geschlecht des Patienten (warum gerade diese beiden Punkte so wichtig sind erläutere ich später) sowie Fachrichtung des Verordners. Dennoch müssen wir herausfinden (bei Stammpatienten ist das natürlich spielend leicht), ob die Person, die vor uns steht, tatsächlich der Patient ist, oder nur im Auftrag einer dritten Person zu uns gekommen ist. Dies ist insbesondere bei einer Erstverordnung und oder Akut verordnung wichtig. Welche Informationen kann der „Bote“ liefern: Ist die Einnahme bekannt, warum genau wurde das Antibiotikum oder das Schmerzmittel verordnet?
Nehmen wir das Beispiel der Antibiotikum-Verordnung: Ein und derselbe Wirkstoff kann bei verschiedenen Krankheitsbildern zum Einsatz kommen: Amoxicillin beispielsweise u.a. bei einer Seitenstrangangina ebenso wie bei Mittelohrentzündung oder Gonorrhoe. Ciprofloxacin wird bei verschiedenen Atemwegserkrankungen ebenso eingesetzt wie bei einer akuten Harnwegsinfektion, oder Clindamycin bei einer Zahnextraktion ebenso wie bei Infektionen der Haut oder im Urogenitaltrakt… Ein prüfender Blick auf den Arztstempel schränkt die möglichen
Krankheitsbilder gegebenenfalls ein – ist der Verordner jedoch ein Allgemeinmediziner, fehlt eine mögliche eingrenzende Information. Jetzt fragen Sie sich als Leser möglicherweise – „was muss sie denn genau wissen und warum?!“
Zum einen kann die Dosierung unterschiedlich sein, je nach Krankheitsbild, zum anderen aber – und das ist mindestens ebenso entscheidend – können wir ganzheitlich nur Auskunft geben und zur schnelleren Linderung beitragen, wenn wir den Grund für die Antibiotikumgabe kennen. Fakt ist – im Regelfall geht ein Patient mit Symptomen zum Arzt: Schmerzen, Brennen, Jucken, gestörte Körperfunktionen. Selten nennt der Patient als Anliegen, dass zu viele Staphylokokken oder Streptokokken den Körper befallen haben. Und genau hier kommen wir zum Kern der Sache: Das Antibiotikum bekämpft die Keime – nicht aber vordergründig unmittelbar die Symptome wie Schmerzen, Krämpfe usw. Hier kommen wir ins Spiel: Denn zur Symptomlinderung und für schnelleres Wohlbefinden ebenso zur verbesserten Verträglichkeit des Antibiotikums können wir mit unserer Beratung beitragen. Gerade Frauen berichten auf Nachfrage oft, dass sie in der Vergangenheit nach der Einnahme von Antibiotika Pilzinfektionen im Vaginalbereich erlitten haben – dem kann durch die Gabe geeigneter Präbiotika bereits während der Antibiotikum-Einnahme aktiv entgegen getreten werden. Das Antibiotikum wirkt direkt an der Ursache und erst zeitversetzt werden die Symptome abnehmen.
Schmerzmittel, Mundspül-Lösungen, weiche Zahnbürsten, Kühlpads bei einer Zahnextraktion, ein krampflösendes Mittel, ein Wärmepflaster (die Wärmflasche für unterwegs) oder der Durchspülungstee bei einer Harnwegsinfektion (gepaart mit dem Hinweis die Füße warm zu halten), ein betäubender Rachenspray bei der Seitenstrangangina, damit die riesengroße Amoxicillintablette auch geschluckt werden kann … Das sind exemplarisch Wege, die wir Betroffenen aufzeigen können, um die Erkrankung besser und schneller zu überstehen.
Neben all den Möglichkeiten, Symptome zu lindern, ist es aber auch unsere Aufgabe, die Gesamtsituation im Blick zu haben: Wann ist der richtige Einnahmezeitpunkt, welche Lebens mittel oder Nahrungsergänzungsmittel sollten gemieden werden (z.B. Milch, Magnesium bei Doxycyclin), gibt es eine erhöhte Gefahr für den Patienten in der Sonne (z.B. Cotrimoxa zol, Doxycyclin), gibt es insbesondere bei älteren Patienten Wechselwirkungen mit anderen Arzneistoffen zu beachten (z.B. Clarithromycin macht Statine deutlich unverträglicher – Entstehung von Myopathien, Muskelschmerzen – und die erhöhte Gefahr einer Arrhythmie durch direkten Einfluss auf den Herzrhythmus: QT-Zeitverlängerung; mögliches Nierenversagen).
Mit dem Bewusstsein, dass Patienten im Sprech zimmer des Arztes oft aufgeregt sind und nicht alle Infor mationen gleich parat haben, versuchen wir, eine mögliche Informationslücke zu schließen um gegebenenfalls – auch unter Einbeziehung des Arztes – noch Modifikationen vorzunehmen.
SELBSTMEDIKATION
Schauen wir uns nun mögliche Fälle im Rahmen der Selbstmedikation an. Folgende Ausgangssituationen sind denkbar. Erstens: Der Kunde nennt einen konkreten Produktwunsch oder, zweitens, es wird um Hilfe gebeten: „Ich brauche etwas gegen Husten“… oder ähnlich.
Egal ob Produktwunsch oder Indikation vom Kunden angeführt wird, jetzt gilt es mit Fingerspitzengefühl ein Maximum an Information über den Patienten und die Erkrankung zu erfragen, um bestmöglich beraten zu können. Beginnen wir kurz mit der Erkrankung: Passen der genannte Wirkstoff und die tatsächliche Erkrankung zusammen? Eine klassische Verwechslung: ASS-Brausetabletten (gegen Schmerzen, Fieber und Entzündungen) und ACC-Brause tabletten (zur Schleimverflüssigung bei Husten). Im Zeitalter von Google und Internet-Foren gepaart mit dem berechtigten Interesse der Selbstbestimmtheit ist nicht jeder Patient gleichermaßen offen für eine „Korrektur“. Clotrimazol (Antipilzmittel ohne Rezept erhältlich) und Cotrimoxazol (verschreibungspflichtiges Antibiotikum) werden bei völlig verschiedenen Krankheitsbildern eingesetzt…
Kommen wir jetzt zu der Frage, die am meisten Unverständnis bei den Kunden hervorruft: „Für wen genau ist das gewünschte Arzneimittel – für Sie selbst, einen anderen Erwachsenen oder für ein Kind?“
Um tatsächlich eine richtige Beratung zu absolvieren ist die Kenntnis über Alter und Geschlecht zwingend erforderlich.
GESCHLECHT, SCHWANGERSCHAFT UND GRUNDERKRANKUNGEN
Ist die betroffene Person möglicherweise eine Frau im gebärfähigen Alter? Besteht eine Schwangerschaft oder wird gestillt? In so einem Fall können zahlreiche Arzneimittel gar nicht eingesetzt werden oder ein Arzt muss unter Umständen mit hinzugezogen werden.
Wer genau ist der Patient: Welche Grunderkrankungen bestehen? Welche Arzneimittel werden im Rahmen einer Dauermedikation eingenommen? Was hat der Patient bereits gegen die bestehenden Beschwerden eingenommen? Sind Besonderheiten zu beachten: Unverträglichkeiten, Religion, Sucht…? Unsere Verantwortung ist es, zu erkennen, ob die Grenze der Selbstmedikation erreicht ist. Eine Harnwegsinfektion bei einer Frau ist oftmals ohne ärztliche Unterstützung in den Griff zu bekommen – Männer gelten hierbei prinzipiell als Risikogruppe und müssen an den Arzt verwiesen werden. Ver langt also eine Frau ein Mittel gegen eine Harnwegs infektion, müssen wir erfragen, ob sie selbst die Anwenderin sein wird oder möglicherweise ein Mann.
VERTRÄGLICHKEIT IM ALTER
Arzneimittel, die dem Patienten seit Jahren bekannt sind und schon oftmals eingenommen wurden bergen die große Gefahr, dass die Risiken – insbesondere im Alter – unterschätzt werden: Insbesondere im Alter können Arzneistoffe aufgrund verschiedenster Mechanismen schlechter verträglich sein als in jungen Jahren.
Ich möchte stichpunktartig eine kleine Auswahl an Fakten aufzeigen, die bei Senioren zu berücksichtigen sind. Wie ein Wirkstoff vom Körper aufgenommen, verstoffwechselt wird und zur Wirkung kommt, ist sehr vom Alter abhängig. Im Laufe unseres Lebens verändert sich unsere Körperzusammensetzung (Wasser-, Fett- und Muskelanteil), die Nieren- und Leber leistung lassen erheblich nach und die Verweildauer im Magen-Darmtrakt ist verändert. Deshalb müssen zahlreiche Arzneistoffe im Alter niedriger dosiert gegeben wer den, um die Verträglichkeit zu optimieren. Weiterhin nimmt unser Acetylcholingehalt im Körper (verantwortlich für Denkleistung, Verdauungssäfte, Schweißproduktion, Herzregulation u.v.m) im Alter gravierend ab. Daher sollten zahlreiche Arzneistoffe im Alter vermieden werden, insbesondere jene, die die Acetylcholinwirkung weiter absenken– und zwar auch genau solche, die in jungen Jahren gut vertragen wurden: Schlaf – mittel (mit Dimenhydrinat), Antiallergika, krampflösendes Butylsopolamin, die Reisetablette… Be schrie ben wird eine anticholinerge Last. Diese äußert sich durch trockene Augen und erhöhte Glaukomgefahr, Mundtrockenheit, trockene Haut, schlechtere Magen-Darm-Tätigkeit und im schlimmsten Fall durch eine tödlich endende Tachykardie oder einem Delirium. Die langfristige Einnahme bestimmter Substanzen kann Demenz fördern. Welche Arzneistoffe im Alter vermieden werden sollen ist allgemein zugänglich beschrieben in der sogenannten PRISCUSListe, erstmals veröffentlicht 2001 an der Charité in Berlin. Diese berücksichtigt die veränderte Verstoffwechslung von Arzneistoffen im Alter ebenso wie die zu vermeidende erhöhte Sturzgefahr durch verschiedene Wirkstoffe. Arzneimittel, die in jungen Jahren sehr gut vertragen werden, können insbesondere auch in Kombination mit anderen Arzneimitteln im Alter schwerste Komplikationen hervorrufen! Verlangt also eine junge Studentin das krampflösende Mittel Buscopan® müssen wir wissen, ob dieses für sie selbst zur Behandlung von Regelbeschwerden oder möglicherweise für den an Parkinson erkrankten Großvater gegen Darmkrämpfe bestimmt ist, der diese Tabletten jedoch unbedingt meiden sollte. Und das müssen wir erfragen!