Das Fenster zum Gefäß
Im interdisziplinären Gefäßzentrum am Krankenhaus Bautzen sorgen Spitzen-Mediziner dafür, dass auch Aneurysmen-Sonderfälle mit schonenden und innovativen OP-Methoden behandelt werden.
Was haben Albert Einstein, Thomas Mann und Charles de Gaulle gemeinsam? Alle drei sind Persönlichkeiten, die das 20. Jahrhundert geprägt haben. Weniger bekannt ist allerdings die Tatsache, dass alle drei an einem geplatzten Aortenaneurysma gestorben sind. Noch heute ist die Aussackung der Hauptschlagader im Bauchraum die häufigste krankhafte Veränderung der großen Gefäße. Fachleute schätzen, dass etwa 9 Prozent der Deutschen über 65 Jahre unter einer Erweiterung der Hauptschlagader leiden. Das Tückische an der Krankheit ist der Umstand, dass die Aneurysmen erst spät bei Routineuntersuchungen erkannt werden. Häufig wachsen sie über viele Jahre, wobei die Betroffenen keine Symptome verspüren. Wird ein geplatztes Aneurysma nicht behandelt, führt es innerhalb kürzester Zeit zum Tode. So auch bei Albert Einstein, der 1955 in Princeton gestorben ist, aber schon sieben Jahre vorher über heftige Bauchschmerzen klagte. Schon damals wurde ein „Grapefruit“-großes Aneurysma entdeckt, das der behandelnde Chirurg teilweise mit einer Cellophan-Folie umkleidete, in der Hoffnung, ein Platzen der Aussackung zu verhindern. Damals war dieses Vorgehen die Standardmethode, da ein künstlicher Gefäßersatz noch nicht erfunden war.
Auf der Suche nach dem richtigen Material
Nach sechs Jahren platzte das Aneurysma dann aber dennoch, woraufhin der Ersatz einer Leichenhauptschlagader, einem sogenannten Homograft, vorgeschlagen wurde. Aber Einstein lehnte den Eingriff mit den Worten ab: „I want to go when I want. It is tasteless to prolong life artificially. I have done my share, it is time to go. I will do it elegantly.“ Eine künstliche Lebensverlängerung behagte dem Nobelpreisträger also nicht. Seinen Abgang wollte er möglichst elegant selbst gestalten. „Die Versorgung eines Aortenaneurysmas ist in der Medizin ungefähr seit den fünfziger Jahren möglich“, erklärt einer der Gefäßchirurgen an den Bautzener Oberlausitz-Kliniken. Nach der nicht bewährten Cellophan-Ummantelung und dem später möglich gewordenen Einsatz von Leichenschlagadern, die bisweilen in Spezialfällen noch heute verwendet wird, lenkte die Medizintechnik den Blick aber bald auf andere Ersatzmaterialien. Über Jahrzehnte war dabei die offene Operation der Standardeingriff. Der erkrankte Abschnitt der Bauch- oder Hauptschlagader wird weggeschnitten und durch eine Kunststoffprothese ersetzt. Bei dieser konventionellen Methode besteht allerdings ein gewisses Risiko, nennenswerte Komplikationen sind möglich, und schlussendlich bleibt eine größere Narbe zurück. Die elegantere Methode ist der endovaskuläre, minimal-invasive Eingriff, der Anfang der neunziger Jahre mit sogenannten Stentgrafts entwickelt wurde.
Elegante Lösung bei Sonderfällen
Dabei handelt es sich um zylinderförmige, metallgitterartige, dehnbare Implantate, die entweder mit Polyester oder Teflon ummantelt sind. Über zwei Leistenzugänge werden die Prothesen unter Röntgenkontrolle in die Hauptschlagader eingesetzt. In innovativen Kliniken, die über die notwendige Infrastruktur verfügen, gehört die Behandlung mit Stentgrafts mittlerweile zum Standard. So auch im Klinikum Bautzen, wo der Eingriff seit 2006 angeboten wird. Die medizintechnische Entwicklung ist dabei in den letzten Jahren weiter vorangeschritten. Stentgrafts liegen in unterschiedlichen Längen, Formen und Durchmessern vor. Zudem ist es seit einiger Zeit auch möglich Gefäßverzweigungen mit den Stentgrafts zu erreichen. „In 40 % der Fälle liegen nicht kugelförmige Aneurysmen im Bauchraum vor. Das Aneurysma geht stattdessen auf die Beckenschlagader über“, sagen die Gefäßmediziner in Bautzen. „Früher hat man den Abgang zur Beckenschlagader dann einfach geschlossen. Diese Patienten konnten dann aber teilweise nicht mehr richtig laufen oder es gab Probleme bei der Blutversorgung des Darmes“. Abhilfe schaffen heute spe-zielle Stents mit Seitenabgängen, die Durchblutungsstörungen der Beckenarterien verhinderten.
Mit Fenstern für gute Durchblutung
Mit den sogenannten fenestrierten Stentgrafts wurde hingegen eine weitere Lösung gefunden, um eine andere Gruppe Spezialfälle zu therapieren. Patienten, bei denen das Aneurysma zusätzlich den Abschnitt mit den Abgängen der Eingeweide- und Nierengefäße betreffen, waren bisher häufig nur über den wesentlich größeren risikoreicheren offenen Aortenersatz therapierbar. Mit den individuell angefertigten, fenestrierten Stentgrafts stellt man nun die Durchblutung der Eingeweide und Nieren sicher, während das Aneurysma sicher ausgeschaltet wird. Der Nachteil im Vergleich zur offenen Operation ist, dass die Patienten ein Leben lang in bestimmten Zeitintervallen kontrolliert werden müssen. Bei den Kontrollen werden die Stentlage, die Dichtheit und Durchgängigkeit überprüft. Reparaturen sind jederzeit möglich.
Expertise und Erfahrung
Der Einsatz dieser hochkomplexen minimal-invasiven Methoden verlangt ein Höchstmaß an Erfahrung. Das Gefäßzentrum Bautzen ist eine der wenigen Einrichtungen in der Region, die diese Interventionen und Operationen anbietet. Es ist als eines von nur drei Zentren in Sachsen von allen drei gefäßmedizinischen Fachgesellschaften, der Deutschen Gesellschaft für Gefäßchirurgie (DGG), der Deutschen Röntgengesellschaft (DRG) und der Deutschen Gesellschaft für Angiologie zertifiziert. Durch die interdisziplinäre Zusammenarbeit von Radiologen, Angiologen und Gefäßchirurgen sind die Ärzte in Bautzen in der Lage, innovative, noch relativ unbekannte Methoden durchzuführen. Der Einsatz fenestrierter Stentgrafts ist zwar insgesamt selten, Aortenaneurysmen behandeln die Experten des Gefäßzentrums allerdings bis zu 40 Mal pro Jahr, wobei ungefähr in 80 % der Fälle endovaskulär operiert wird. Entsprechend groß ist die Expertise der Gefäßspezialisten. Vielleicht hätte sich Einstein unter diesen Umständen doch auf eine künstliche Lebensverlängerung eingelassen.
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