Stammzellen im Fokus der Forschung

Professor Dr. med. Martin Bornhäuser / Foto: Stephan Wiegand
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Prof. Martin Bornhäuser und sein Team des Stammzelltransplantationszentrums am Dresdner Uniklinikum behandeln jährlich ca. 200 Patienten / SFB 655 „Von Zellen zu Geweben“ bearbeitet komplexe Frage­stellungen.

Rund 6,5 Millionen Menschen in Deutschland sind bereit, mit einer Stammzellspende anderen das Leben zu retten, weltweit sind in Datenbanken 27,7 Millionen potenzielle Spender registriert und typisiert (Stand Anfang 2016). Das Zentrale Knochenmarkspender-Register Deutschland (ZKRD) mit Zugriff auf die internationalen Register ermöglicht es heute, für etwa 70 Prozent der Bedürftigen einen genetischen Zwilling zu finden und mit einer Transplantation die Heilungsaussichten bei bösartigen Erkrankungen des Blut- und Lymphsystems deutlich zu verbessern. Seit den frühen 1990er Jahren gilt die Blutstammzell­trans­plantation weltweit als etabliertes Verfahren, am Dresdner Universitätsklinikum „Carl Gustav Carus“ wird sie seit 1995 durchgeführt, wie Professor Dr. Martin Bornhäuser, Direktor der Medizinischen Klinik und Poliklinik I für Innere Medizin und Hämatologie im Gespräch mit dem „TOP Gesundheits­forum“ berichtet. Gemeinsam mit Klinikdirektor Professor Dr. Gerhard Ehninger verantwortet er seit 2011 den Fachbereich Hämatologie und Blutstammzell­transplantation. In all den Jahren hat sich die Einrichtung so erfolgreich entwickelt, dass sie inzwischen zu den fünf größten Stammzell­trans­plan­tations­zentren Deutsch­lands gehört.

Bei welchen Erkrankungen kommt für den Patienten eine Blutstammzelltransplantation überhaupt infrage und was soll sie bewirken?
Professor Bornhäuser: Indikationen sind in erster Linie verschiedene Arten von Leukämien sowie bösartige Erkrankungen des lymphatischen Systems. Unterschieden wird in autologe und allogene Transplantationen. Während vor erstgenannter Übertragung dem Patienten eigene Blutstammzellen entnommen und wieder zurück übertragen werden, kommen bei allogenen Transplantationen genetisch passende Stammzellen fremder Spender zum Einsatz. Die autologe Transplantation ist beispielsweise angezeigt, wenn sich ein Blutkrebspatient einer hochdosierten Chemo- oder Strahlentherapie unterziehen muss, welche auch die gesunden Zellen zerstört. Also werden vorher Blut­stammzellen entnommen und eingefroren. Nach Ende der die Krebszellen abtötenden Therapie werden die gesunden und entsprechend aufbereiteten Zellen wieder dem Blutkreislauf zugeführt. Ihre Aufgabe ist es nun, sich wie normale Zellen zu teilen und so die Blutbildung wiederherzustellen. Bei allogenen Transplantationen, die meist bei Leukämien angewendet werden, sollen die fremden Stammzellen ebenfalls die erkrankten ersetzen und neue, gesunde Zellen entwickeln.

Wie viele Patienten behandelt das Team Ihres Fachbereichs jährlich mit Stammzelltransplantationen?
Die Zahl hat sich bei rund 200 Patienten pro Jahr eingependelt. Etwa 120 von ihnen werden mit Stammzellen allogener Spender – dazu gehören auch Familien­angehörige – behandelt, 70 bis 80 mit eigenen Stammzellen. Das Gros der Erkrankten ist 60 Jahre und älter, Kinder sind glücklicherweise selten betroffen. Professor Meinolf Suttorp, der die Pädiatrische Hämatologie und Onkologie an unserer Kinder­klinik leitet, therapiert regelmäßig etwa zehn bis 15 junge Patienten. TOP: Wie ist es um die Heilungsaussichten bestellt? Professor Bornhäuser: Die sind natürlich von vielen Faktoren abhängig. Wer eigene Stammzellen transplantiert bekommt, kann zu rund 70 Prozent mit einer Heilung rechnen, bei fremden Spendern sind es 50 bis 70 Prozent. Mitunter ist auch erforderlich – gerade bei Patienten, die an einem Multiplen Myelom (ein vom Knochenmark ausgehender Krebsbefall des Knochens) leiden, dass eine Blutstammzelltransplantation ein zweites Mal vorgenommen werden muss.

Die Transplantationseinheit Ihres Hauses zählt zu den größten ihrer Art in Deutschland, sie ist von der europäischen Zulassungsbehörde JACIE zertifiziert. Was gehört an Infra­struktur dazu?
Unser Fachbereich generell ist breit aufgestellt und technisch und personell so ausgestattet, dass dem Patienten von der Diagnostik über die Therapie bis zur Nachsorge eine Versorgung auf der Basis höchster Qualitätsstan­dards zur Verfügung steht. Neben der allgemeinen Häma­tologischen Station und Ambulanz sowie dem Labor haben wir eine spezialisierte Station für Knochenmark- und Stammzell­transplantation. Eine Koordinierungsstelle kümmert sich um die Stammzellentnahme. In 80 Prozent der Fälle werden die Stammzellen aus dem Blut der Armvenen gewonnen, was für den Spender weniger belastend ist als eine Entnahme unter Vollnarkose aus dem Knochenmark. Vor der Entnahme ist eine mehrtägige Behandlung mit Wachstumsstimulatoren nötig, welche die Bildung von Stammzellen anregen. Bei der eigentlichen Stammzellgewinnung wird das ausgeleitete Blut zentrifugiert, um so die Stammzellen herausfiltern zu können. Weil die Zellen unter normalen Bedingungen nur kurze Zeit lebensfähig sind, müssen sie im Stammzell-Labor unter Reinst­raum-Bedingungen sofort eingefroren werden.

Was geschieht nach der Stammzelltransplantation?
Ist die Infusion der Stammzellen erfolgt, verbleibt der Patient auf Station, bis die Blutbildung in Gang kommt. Erst wenn sich die Zusammensetzung aller Blut­be­standteile stabilisiert hat und die Organe ausreichend versorgt werden, kann der Erfolg der Transplantation bewertet werden. Diese Zeit ist kritisch, denn es muss alles vermieden werden, was eine Infektion auslösen könnte. Das Immunsystem erholt sich erst nach und nach und eindringende Keime hätten verheerende Auswirkungen. Einen großen Vorzug sehe ich darin, dass unsere Trans­plantations­einheit als koordinierende Studienzentrale bundesweit vernetzt ist. Auf diese Weise haben wir die Möglichkeit, Patienten, die an unterschiedlichen hämatologischen Erkran­kungen leiden, frühzeitig in klinische Studien einzubinden. Sie profitieren also auf kurzem Wege von den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen.

Worauf beziehen sich denn diese klinischen Studien?
Ein großes Thema sind beispielsweise die Abstoßungsreaktionen, weil ja bei allogenen Stammzell­transplantationen ein fremdes Immunsystem mit übertragen wird. Diese Mechanismen besser zu verstehen und frühzeitig gegenzusteuern ist eine Herausforderung. Schließlich reagiert jeder Organismus anders. Gerade bei Leukämiepatienten ist die Gefahr groß, dass die fremden Blutstammzellen trotz größtmöglicher Übereinstimmung mit den eigenen gegen den Körper des Patienten reagieren. Zwar haben wir heute wirkungsvolle Medikamente gegen Abstoßungen zur Verfügung, doch deren Nebenwirkungen sind teils beträchtlich. Diese abzumildern ist ein weiterer Forschungsschwerpunkt. So ist Professor Ehninger, der sich besonders auf die akute myeloische Leukämie spezialisiert hat, in internationale Studien zu neuartigen Medikamenten und neuen Immuntherapien involviert.

Die Dresdner Transplantationseinheit hat einen guten Ruf, die Forschung erfolgt auf einem hohen Niveau – wie aber sind diese Ergebnisse international zu werten?
Richtig ist, dass wir sowohl bei der Patientenversorgung als auch auf dem Gebiet der Forschung ein sehr hohes Qualitätsniveau erreicht haben, auch dank sehr guter gesetzlicher Regularien. Allerdings hinken wir in der Forschung angloamerikanischen Zentren etwas hinter her, was unter anderem mit dem deutschen Verständnis von gesetzlicher Regulation zu tun hat. Auf der anderen Seite pflegen wir enge wissenschaftliche Kooperationen mit Studieneinrichtungen vor allem in England und den USA und unterstützen uns gegenseitig bei der Umsetzung gewonnener Erkenntnisse.

Seit 2005 existiert der Sonderforschungsbereich (SFB) 655 „Von Zellen zu Geweben“, der das Ziel verfolgt, die biologischen Grundlagen von Stamm- und Vorläuferzellen zur Gewebe­bildung besser zu verstehen. Angesiedelt ist er, ebenso wie das von Ihnen geführte Stemcell Lab im CRTD im Zentrum für Regenerative Therapien Dresden. Welches Thema bearbeiten Sie und wie ist der Stand?
Mein Part ist der Projektbereich B, der sich mit den Stammzellen des blutbildenden Systems befasst. Es geht darum, die Mechanismen der Blutbildung so zu entschlüsseln, dass eines Tages Stammzellen auch außerhalb des Körpers erhalten und schließlich vermehrt werden können. Auch wie die Aktivierung von Stammzellen im Körper funktionieren könnte, wird erforscht. Es werden aber noch fünf bis zehn Jahre vergehen, bis die Erkenntnisse anwendungsreif sind. Im kommenden Jahr wird der SFB 655 offiziell auslaufen, aber es gibt schon Folgekonzepte, die mehr in Richtung Immun­therapie gehen sollen. Da wollen wir untersuchen, wie sich Stammzellen und Immunzellen gegenseitig beeinflussen, ein Spezialgebiet von Professor Gerhard Ehninger. Die Wissen­schaftler vom CRTD arbeiten schon seit längerem an Modell­systemen, um die Stammzelleigenschaften eines Tages nutzen zu können, beispielsweise zur Zell-Reparatur. Professor Frank Buchholz versucht mittels gezielter genetischer Eingriffe die Funktion von Stammzellen und Leukämizellen zu beeinflussen. Doch auch wenn die technischen Möglichkeiten schon sehr weit gediehen sind, werden bis zur Anwendung von genetisch veränderten Stammzellen sicher noch einige Jahre vergehen. Genetisch veränderte Immunzellen sind aber heute schon unter Verwendung und werden auch in Dresden in den kommenden Jahren in klinischen Studien getestet werden.

Interview: Regine Hauswald-Tezky

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