Neuer Impuls für die Weiterbildung in der sächsischen Infektionsmedizin
Im Gespräch mit Dr. med. Thomas Grünewald
Infektionskrankheiten sind auf dem Vormarsch. Das ist längst nicht erst seit der Pandemie klar. Gut 20 Prozent der stationär behandelten Patienten in Deutschland haben eine Infektionskrankheit. Die Nachfrage nach spezialisierten Infektiologen ist also größer denn je. Die Bundesärztekammer sieht deshalb in ihrer aktuellen Musterweiterbildungsordnung eine sechs Jahre dauernde Ausbildung zum „Facharzt für Innere Medizin und Infektiologie“ vor. In bislang zehn Bundesländern wird die Novelle umgesetzt. Neben Brandenburg geht auch Sachsen einen Sonderweg. Die Sächsische Landesärztekammer hat stattdessen eine zwei Jahre dauernde Weiterbildungsmöglichkeit als Schwerpunkt nach der fünfjährigen Facharztweiterbildung für Ärzte in der Inneren sowie in der Kinder- und Jugendmedizin beschlossen. Daneben steht der Erwerb einer Zusatzbezeichnung aber auch anderen klinischen Fachbereichen offen. Über die Argumente für diesen Weg sprachen wir mit Dr. med. Thomas Grünewald, der als Facharzt für Innere Medizin und Infektiologie (SLÄK und DGI) am Klinikum Chemnitz auch in der Kammerversammlung der Landesärztekammer sitzt. Der Vorsitzende der Sächsischen Impfkommission und Leiter der Klinik für Infektions- und Tropenmedizin ist direkt vom Thema betroffen.
Woran machen Sie fest, dass Infektionskrankheiten immer häufiger diagnostiziert werden?
Neben den reinen Patientenzahlen wird das zum Beispiel auch daran deutlich, dass im internationalen Standardwerk der Inneren Medizin, „Harrison’s Principles of Internal Medicine“ je nach Ausgabe bis zu 40 Prozent der Texte Infektionskrankheiten betreffen. Zweifelsohne nimmt die Infektiologie eine immer wichtigere Rolle in den Kliniken ein, nicht nur in Sachsen, sondern in Deutschland, Europa und weltweit.
Wie hat sich der Umgang mit der Infektiologie über die Jahrzehnte entwickelt?
Wir hatten lange kein Verständnis für die Herausforderungen der Infektionskrankheiten. Noch 1969 forderte der US-Chirurg William Stewart angeblich, es sei an der Zeit, das Buch der Infektionskrankheiten zu schließen. Auch wenn ihm der Satz wohl in den Mund gelegt wurde, spiegelte die Aussage die damals vorherrschende Meinung wider. Dann kamen in den 70er Jahren Erkrankungen wie Hepatitis C, Ebola und Legionärskrankheit und Anfang der 80er Jahre HIV. Schließlich die Antibiotikaresistenzen, die uns wie vieles andere noch bis heute beschäftigen. Damit wurde dann auch ein Problembewusstsein geweckt und es war klar, dass neue, spezielle Vorgehensweisen und Therapiekonzepte entwickelt werden müssen.
Jetzt gibt es Entwicklungen, die die Infektionsmedizin vor neue Herausforderungen stellen. Worum handelt es sich dabei?
Überall auf der Welt tauchen die sogenannten „Emerging Infectious Diseases“ auf, Infektionserkrankungen, die entweder neu oder erneut auftreten. Da gibt es verschiedene Ursachen, etwa dass wir uns immer mehr in die Natur hineindrängen, wo wir es nicht sollten. Zum Beispiel über Wildtierfarmen oder -märkte. Dann führt der Klimawandel zur Verbreitung von Tropenkrankheiten: das Dengue Fieber sehen wir zunehmend in Südeuropa. Mittlerweile ist es in Rom und der Lombardei angekommen. Auch gibt es erstmals seit langem wieder Fälle von Malaria in Florida und in Maryland in den USA. Die erste große akute Pandemie seit über 100 Jahren wiederum hat gezeigt, dass nicht nur medizinische Aspekte eine Rolle spielen, sondern wir eine Infodemie erleben, in der sich Fehlinformationen rasant verbreiten und die unter anderem zu einer Wissenschaftsskepsis führen kann, die ihre Ausprägung nicht zuletzt in einer gewachsenen Impfskepsis zeigt. Das gehört zu dem weiteren Spektrum von Problemen, mit denen wir uns beschäftigen müssen, um vor allem eine Prävention von Infektionskrankheiten zu stärken. Und dafür brauchen wir Spezialisten.
Wie schätzen Sie den Status Quo der Infektionsmedizin in Sachsen ein?
Sachsen hat eine lange Tradition, weil der Freistaat zu den ersten Bundesländern gehörte, die die Zusatzbezeichnung Infektiologie in die Weiterbildung implementiert hat. Insofern ist Sachsen relativ gut aufgestellt, auch weil wir mit Leipzig, Dresden und hier bei mir in Chemnitz gar nicht mal so wenige spezifische Infektionskliniken haben. Zudem gibt es noch weitere Fachbereiche, die sich mit der Infektiologie beschäftigen, und als einziges Bundesland hat Sachsen eine eigene Impfkommission.
Mehr Spezialisierungen von praktizierenden Ärzten sind aber trotzdem notwendig?
Die Infektionsmedizin ist wie die Onkologie ein Querschnittsfach, das viele Fachbereiche betrifft. Wir brauchen eine breite Aus- und Weiterbildung, damit die Infektionsmediziner in der Lage sind, den Kollegen der Organmedizin kompetent zur Seite zu stehen.
Die Sächsische Landesärztekammer hat sich gegen den Vorschlag der Bundesärztekammer für eine fünfjährige Ausbildung zum „Facharzt für Innere Medizin und Infektiologie“ entschieden und setzt stattdessen auf eine zweijährige Weiterbildung für Ärzte der Inneren sowie der Kinder- und Jugendmedizin. Wie begründen Sie diese Vorgehensweise?
Es gibt ja derzeit zwei Möglichkeiten für eine Spezialisierung. Es gibt einerseits den verkürzten Facharzt für Innere Medizin mit drei weiteren Jahren für Spezialisierungen im Fachgebiet Infektiologie. In Sachsen wollen wir den Weg gehen, dass nach der fünfjährigen Ausbildung in der Inneren Medizin zwei Jahre hochspezialisierte Infektionsmedizin folgen. Insgesamt also sieben Jahre. Man darf nicht vergessen, dass die Infektiologie auch in der Inneren Medizin bereits eine Rolle spielt, da die Kollegen in allen Subspezialitäten durchrotieren.
Wie wird sich das auf die Gesamtversorgung auswirken?
Es stärkt die Infektionsmedizin in der Breite. Wir reden ja nicht nur von Krankenhaus-, sondern auch von der ambulanten Medizin. Ärzte können sich in Sachsen dann auch spezialisiert niederlassen. Sowohl der Internist mit dem Schwerpunkt Infektiologie als auch andere klinische Fächer, zum Beispiel die Neurologie oder Anästhesie oder Chirurgie werden mit der einjährigen Zusatzweiterbildung die Versorgung sowohl ambulant als auch stationär verbessern. Wir brauchen die Spezialisten für die vielfältigen Aufgaben, die wir besprochen haben, wir brauchen das Wissen aber eben auch in der Breite. Ich denke, mit der dualen Weiterbildungsmöglichkeit haben wir dafür zunächst einen akzeptablen Kompromiss gefunden.
Sie erwarten also nicht, dass hochspezialisierte Infektiologen Sachsen in Zukunft meiden?
Im Gegenteil erwarten wir sogar Vorteile, denn fertige Internisten, die eine breite infektiologische Expertise erwerben wollen, können dies mit dem Schwerpunkt in Sachsen tun. Die entsprechenden gesetzlich möglichen Förderungen werden von den Krankenkassen übernommen. Das war ein wichtiger Punkt, den wir vorab mit den Krankenkassen klären konnten.
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Interview: Philipp Demankowski