Neues Zentrum für Digitale Gesundheit

Blick auf das Medizinisch-Theoretische Zentrum der Medizinischen Fakultät Carl Gustav Carus, TU Dresden / Foto: © TU Dresden
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Bereits im Frühjahr 2019 hat die Else-Kröner-Fresenius-Stiftung (EKFS) ihre Entscheidung mitgeteilt, wer die Ausschreibung von Fördermitteln in Höhe von 40 Millionen Euro über zehn Jahre für ein Modellvorhaben in der klinischen Forschung für sich entschieden hat. Unter insgesamt 27 Bewerbern setzte sich der Dresdner Antrag für den Aufbau des Else-Kröner-Fresenius-Zentrums für Digitale Gesundheit durch.

Das Zentrum ist eine gemeinsame Initiative der Dresdner Hochschulmedizin mit den Fakultäten Elektrotechnik und Informationstechnik, der Fakultät Informatik der TU Dresden sowie außeruniversitärer Partner. Damit bietet sich eine einzigartige Chance, auf dem Dresdner Campus eine neue Inter­diszi­plinarität zwischen Hochtechnologie und Medizin zu schaffen. Die Chancen neuer Kommunikationstechnologien, von Robo­tik, Sensorik, neuen Materialien und künstlicher Intelligenz zum Wohle der Patienten einzusetzen, nach europäischen Werte­maßstäben zu gestalten und positiv erlebbar zu machen, ist die gemeinsame Vision des Konsortiums. „Schon heute ist ein Großteil unseres medizinischen Wissens und unsere klinische Dokumentation digital. Die Vorteile der Digitalisierung kommen aber noch viel zu wenig bei den Patienten und unseren Kolleginnen und Kollegen im medizinischen Arbeitsalltag an. Das war unsere Motivation als Ärzte, einen neuen und engeren Austausch mit dem Hochtechnologiecampus der TU Dresden zu suchen“, erklärt Prof. Dr. Jochen Hampe, Leiter des Bereichs Gastroenterologie und Hepatologie an der Medizi­ni­schen Klinik I des Universitätsklinikums Dresden und Spre­cher des Konsortiums die Beweggründe.


Digitale Medikamentenkontrolle
Ein Projekt, das von der Förderung profitieren kann, ist die gemeinsame von Dr. Moritz Middeke, Facharzt für Innere Medizin, Hämatologie und internistische Onkologie am Uni­versitätsklinikum Dresden, und Dr. Matthias Stege, Geschäfts­führer des Dresdner IT-Unternehmens exelonix. Die Idee hinter der Entwicklung, die sie „Intelligenter Tablettendispenser“ nennen, ist es, die Einnahme von Medikamenten digital zu protokollieren und damit zu kontrollieren. Wir sprachen mit den beiden Initiatoren über die Funktionsweise sowie die Vorteile für Patienten, Ärzte und Krankenkassen.

Was ist das grundlegende Ziel des Geräts?
Dr. Matthias Stege:
Maßgebliches Ziel ist es, die Einnahme von Medikamenten in Pillenform digital nachverfolgen zu können. Wir versprechen uns davon eine bessere Adhärenz. Das ist der Grad der Übereinstimmung von Einnahme­emp­fehlung des Arztes und tatsächlicher Einnahme seitens des Patienten. Es gibt bereits Studien, die belegen, dass eine Form von sozialer Kontrolle zu einer besseren Adhärenz führt. Aller­dings können wir nur den Vorgang des Herausnehmens der Tablette digital protokollieren. Die Kontrolle, ob der Pa­tient die Tab­lette dann tatsächlich im Körper einnimmt, ist aus datenschutzrechtlichen und bioethischen Gründen nicht möglich.

Wie wird das Gerät aussehen?
Dr. Matthias Stege:
Anstatt der üblichen Medi­ka­menten­boxen entwickeln wir ein anderes Objekt, das Platz für verschiedene Tablettenpackungen bietet. Denn streng genommen erlischt die Haftung für die pharmazeutischen Unternehmen, wenn die Tab­letten aus der Original­packung in die gebräuchlichen Medikamentenkästen überführt werden. Die ursprüngliche Wirksam­keit kann dann nicht mehr gewährleistet werden. Deshalb muss die Entnahme aus dem originalen, sogenannten Tab­letten-Blister protokolliert werden. Wir lösen das Problem, in­dem wir Aufkleber mit gedruckten Schaltungen für die unterschiedlichen, zum Glück normierten Blister-Arten herstellen.

Wie funktioniert der konkrete Protokollierungs­vorgang?
Dr. Matthias Stege:
Bei der Entnahme werden die entsprechenden Daten über einen an der Box befestigten Kontakt direkt über das Mobilfunknetz und in eine Adhärenz-Cloud übertragen. Dort können sie sowohl vom Patienten als auch vom behandelnden Arzt jederzeit abgerufen werden. Wenn die Tabletten nicht eingenommen werden, kann eine Folgehand­lung etwa in Form eines Anrufs erfolgen, um zu klären, wo das Problem liegt. Durch die Kopplung ans Mobilfunknetz kann die Box bei Verlust auch angerufen oder über GPS einfach wiedergefunden werden. Wir wollen darüber hinaus auch die Umge­bungstemperatur und Luftfeuchte protokollieren, damit wir nachvollziehen können, unter welchen Umgebungs­bedin­gungen die Medikamente gelagert werden. Zudem entwickeln wir eine App, die als zentrales Tool zur Steuerung der Funktionen dienen soll.

Sie nutzen die „Narrow-Band IoT“ als zugrunde liegende Technologie für den Daten­transfer. Warum?
Dr. Matthias Stege: „Narrow-Band IoT“ ist der Teil des neuen Mobilfunkstandards 5G, der heute schon europaweit verfügbar ist und sehr stromsparende Datenübertragungen ermöglicht. Sie ist vor allem deshalb von Vorteil, weil damit wesentlich längere Akku-Laufzeiten möglich sind. Wir rechnen mit Lauf­zeiten von ungefähr fünf bis zehn Jahren ohne Aufladen der Batterie. Das ist wichtig, da das Gerät ja vor allem von älteren Patienten genutzt werden wird, die mitunter Probleme beim Aufladen haben. Außerdem garantiert 5G eine deutliche bessere Netzabdeckung, auch in ländlichen Gebieten, sowie in Gebäuden.

Dr. Matthias Stege und Dr. med. Moritz Middeke / Foto: © Universitätsklinikum Dresden/Gabriele Bellmann

Welche Patienten werden für die Studie ausgewählt? Und können auch andere Patientengruppen vom intelligenten Tablettendispenser profitieren?
Dr. med. Moritz Middeke: Für die Studie haben wir Leukämie-Patienten ausgewählt, eine Krankheit, die zwar potenziell tödlich ist, bei deren Therapie aber in den letzten Jahren große Fortschritte bis hin zur Heilung erzielt wurden. Um die Krankheit zu kontrollieren und ein Wiederauftreten zu vermeiden, ist eine korrekte Einnahme und Dosierung der Medi­kamente essenziell. Es kommt häufig vor, dass die Medi­ka­mente so gut wirken, dass die Krankheit von den Patienten nicht mehr bemerkt wird, was wiederum zu nachlässiger Adhärenz führen kann. Hier kann das Gerät einen wesentlichen Beitrag zum Erinnern leisten. Denkbar ist die Nutzung aber bei allen Krankheiten mit zwingender Medikamenten­einnahme, etwa Epilepsie oder psychische Erkrankungen, aber durchaus auch in der Kinderheilkunde.

Warum profitieren auch die Krankenkassen?
Dr. med. Moritz Middeke: Eine optimale Krankheitskontrolle ist natürlich auch im Sinne der Krankenkassen. Gerade bei Leukämien sind die Folgekosten bei Fortschreiten der Er­kran­kung hoch, generell gilt dies für das Auftreten von Rück­fällen beziehungsweise Komplikationen, die auf eine nicht korrekte Medikamen­ten­einnahme zurückzuführen sind.

Welche Herausforderungen gilt es noch zu meistern? Was sind die nächsten Schritte?
Dr. med. Moritz Middeke: Wir haben inzwischen alle bürokratischen Hindernisse überwunden und ein Netzwerk aus Ver­tre­tern vom Universitätsklinikum, von Krankenkassen, der Pharmaindustrie sowie von niedergelassenen Ärzten aufgebaut. Gerade die praktizierenden Ärzte im ländlichen Raum sind eine weitere Gruppe, die von dem Gerät profitieren können. Nach­dem die Finanzierung gesichert ist, können wir mit der Studie beginnen. Mit der Zusage der Förderung für das Else-Kröner-Fresenius-Zentrum für Digitale Gesundheit, von der auch unser Projekt profitieren soll, sind wir einen großen Schritt weitergekommen.

Interview: Philipp Demankowski

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