Klettern gegen den Kopfschmerz

Prof. Dr. Rainer Sabatowski, Direktor des Dresdner Universitäts SchmerzCentrums / Foto: Christoph Reichelt
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Dresdner Universitäts SchmerzCentrum hilft mit ambulantem Therapieprogramm „DreKiP“ betroffenen Kindern und Jugendlichen

Kopfschmerzen und Migräne schränken nicht nur die Lebens­qualität Erwachsener beträchtlich ein, in zunehmendem Maße klagen darüber auch Kinder und Jugendliche, wie eine Umfrage an 14 Dresdner Schulen belegt. So gab rund ein Drittel der Befragten an, mindestens zweimal im Monat an Kopfweh zu leiden. Um besonders stark Betroffenen zu helfen, wurde im Universitäts­SchmerzCentrum (USC) in Kooperation mit der Kinderklinik be­reits im April 2015 eine Kopfschmerz­ambulanz für Kinder und Jugendliche eingerichtet. Er­gän­zend dazu startete im Januar 2016 – finanziert durch Spen­dengelder – das ambulante Therapie­programm für Kopf­schmerzkinder „DreKiP“. Was es beinhaltet und welche Er­fahrungen bisher damit gesammelt wurden, erfuhr das Top Gesundheitsforum im Gespräch mit Prof. Dr. Rainer Sabatowski, Direktor des Dres­dner USC, PD Dr. Gudrun Goßrau, Neurologin und Leiterin der Kopfschmerzambulanz sowie Dr. Matthias Richter, Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin und Kinderarzt in der Schmerz­ambulanz.

Schulischer Leistungsdruck, übermäßige Beschäftigung mit Smartphone und Computer, ungesunde Ernährung, körperliche Inaktivität und Schlafmangel begünstigen zweifellos das Auftreten von Spannungskopfschmerzen und Migräne. Aber sind diese Fak­toren allein ausschlaggebend?
PD Dr. Goßrau: Sicher spielt der Lebensstil eine wichtige Rolle. Doch die Ursachen sind meist noch komplexer. Stress, Mobbing, schwierige familiäre Verhältnisse, jedoch auch eine genetische Veranlagung für Migräne gehören dazu. Auf­schlussreich ist in diesem Zusammenhang die Auswertung eingangs genannter Umfrage zur Kopfschmerzhäufigkeit. So gaben etwa 27 Prozent der Mädchen an, nie von Kopfweh betroffen zu sein, bei den Jungen waren es rund 38 Prozent. Je älter die Schüler sind, desto häufiger treten die Schmerzen auf. Aber bereits 16,6 Prozent der Erstklässler sind von Kopf­weh betroffen, bei den 12.-Klässlern mehr als die Hälfte. Bemerkenswert ist, dass Jugendliche, die an Oberschulen lernen, weitaus häufiger von Kopfschmerzen heimgesucht werden als Gymnasiasten.

Wie reagieren denn Lehrer, wenn Schüler wegen Kopf­schmer­zen und Migräne Probleme haben und öfter dem Unterricht fernbleiben?
PD Dr. Goßrau: Das Problem wird in der Regel bagatellisiert. Kopfschmerzschüler stören den Unterricht nicht. Sie ziehen sich eher zurück und bleiben der Schule fern. Kopfschmerz ist nicht sichtbar. Ein Problembewusstsein für das Thema Kopf­schmerz bei Kindern besteht in der Gesellschaft nur punktuell. Häufige Folgen für kopfschmerzbedingte Schulfehlzeiten sind Schulwechsel oder Wiederholung von Schuljahren mit entsprechenden Änderungen des sozialen Umfelds. Negative Aus­wir­kungen auf den Bildungs­weg sind nicht selten zu sehen.

PD Dr. Gudrun Goßrau, Neurologin und Leiterin der Kopfschmerzambulanz / Foto: Felix Posselt

Was sollten Eltern tun, deren Kinder häufig unter solchen Schmerzen leiden?
Dr. Richter: In jedem Fall sollten sie die Beschwerden ernst nehmen. Selbst wenn das Kopfweh vielleicht gar nicht so schlimm ist – das Schmerzempfinden ist ja objektiv nicht mess­bar – versteckt sich dahinter immer ein Problem, das hinterfragt werden sollte. Natürlich ist nicht jeder Kopfschmerz ein Fall für den Kinderarzt, doch wenn er häufiger als zweimal im Monat auftritt und die Lebensqualität deutlich beeinträchtigt, ist ein Arztbesuch unerlässlich. Häufig werden auch rezeptfreie Schmerzmedikamente eingenommen. Diese können allerdings bei regelmäßiger Einnahme selber Kopfschmerzen verursachen. Hier gilt als Faustregel die „drei/zehn“ Regel, wer an mehr als drei Tagen hintereinander oder an mehr als zehn Tagen im Monat Schmerzmedikamente einnimmt, muss damit rechnen, Medikamenten induzierte Kopf­schmerzen zu bekommen. Bei Migräne ist eine angepasste medikamentöse Behandlung besonders wichtig, wenngleich die At­tacken bei Kindern meist schneller vorbei, aber häufiger mit Erbrechen verbunden sind.

Die klassische Kopfschmerztablette löst das Problem ja immer nur vorübergehend. Mit dem Therapieprogramm „DreKiP“ gehen Sie andere Wege…
Professor Sabatowski: Schon seit mehreren Jahren bieten wir Erwachsenen zur Schmerzbehandlung je nach Erkrankung verschiedene Therapiemodule an. Mittels Physiotherapie, dem Erlernen von Entspannungstechniken, mit psychotherapeutischen Methoden, Kunsttherapie und Sporteinheiten sollen die Patienten lernen, vor allem chronische Schmerzen als weniger belastend zu empfinden und dadurch die Lebensqualität zu verbessern. Die positiven Ergebnisse veranlassten uns, das vom USC und der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin betreute Therapie­programm „DreKiP“ ähnlich zu strukturieren. Im Kern geht es darum, Situationen zu erkennen und zu verändern, die den Kopf­schmerz auslösen können. Außerdem sollen die Betroffenen Schutzmechanismen gegen diese Form des Schmerzes erlernen und trainieren.
PD Dr. Goßrau: Die bisherigen Ergebnisse zeigen, dass das jeweils über zwei bis drei Monate laufende Programm funktioniert. Nach den Sommerferien starteten wir mit dem siebenten Zyklus. In Gruppen von sechs Kindern im Alter zwischen elf und 18 Jahren wird in acht Modulen Wissen zum Kopfschmerz vermittelt, werden alltagstaugliche Verhaltensweisen geübt und so das Selbst­be­wusstsein und Vertrauen in den eigenen Körper gestärkt. Die einzelnen Sitzungen dauern jeweils 90 bis 180 Minuten. Wir stellen immer wieder erfreut fest, dass die jungen Patienten mit Spaß und viel Enthusiasmus bei der Sache sind, wohl auch, weil sich die Therapeuten immer wieder etwas Neues einfallen lassen.

Beziehen Sie auch die Eltern in das Programm mit ein?
Dr. Richter: Ja natürlich. Ihre Unterstützung ist sehr wichtig. Bei mindestens vier Modulen sind sie mit dabei. Ihr richtiges Ver­halten kann kritische Situationen entspannen. Es ist schön zu erleben, wie sich viele Eltern mit einbringen, auch untereinander Kontakte knüpfen und ihre Kinder motivieren.

Dr. Matthias Richter, Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin und Kinderarzt in der Schmerz­ambulanz / Foto: Felix Posselt

Nennen Sie doch bitte Beispiele für Modul-Inhalte…
Dr. Richter: Bei den übenden Modulen steht z.B. ein dreistündiges Training in der Kletterhalle des Sächsischen Bergsteiger­bundes auf dem Programm. Die Teilnehmer erfahren was es heißt, an Grenzen zu gehen, sich fallen zu lassen, Vertrauen zu wagen und Verant­wortung zu übernehmen. So dürfen sie sich angeseilt und mit verbundenen Augen nach oben bewegen. Keine leichte Aufgabe. Ist es geschafft, verlassen sie die Halle mit gestärktem Selbst­be­wusstsein. Hilfreich für den Alltag ist auch die sogenannte „Dicke-Haut“-Übung. Die Patienten lernen durch gezielte Muskelan­spannung eine innere Abwehrposition aufzubauen und so verbalen Angriffen zu begegnen, die Auslöser für Frust und letzten Endes Kopfschmerzen sein könnten. Zusammenfassend gehen die ersten drei Module auf die Schmerz/Medikamentenedukation, die Stressoren, Tagesstruktur und das Erlernen von Stressreduktions­strategien ein, die nächsten vier Module sind übender Natur physio-, kletter-, kunst- und ergotherapeutisch, das letzte Modul führt die medizinisch-psychologischen Aspekte zusammen. Seit rund einem halben Jahr gehört auch eine Riech-Spezialistin zu unserem zehn-köpfigen Therapeuten-Team. Schließlich werden etwa fünf Prozent der Migräne-Anfälle durch Gerüche verursacht. Versucht wird, durch eine Gerüche-Testung eine De­sensibilisierung zu erreichen. Zurzeit nehmen zwölf Kinder mit ihren Eltern an einer Studie teil, die Aufschluss geben soll, inwiefern durch Riechen die Schmerzwahrnehmungsschwelle verändert werden kann.

Gibt es Aussagen, ob das Therapieprogramm den betroffenen Kindern und Jugendlichen auch längerfristig geholfen hat, ihre Kopfschmerzen loszuwerden beziehungsweise sie zu mindern? PD Dr. Goßrau: Bisher haben 38 junge Patienten „DreKiP“ absolviert mit überaus erfreulichen Ergebnissen. So sagen drei Viertel der Teilnehmer, dass es ihnen deutlich besser geht. Die Be­troffenen wissen, wie sie in Stresssituationen reagieren müssen, wie sie durch sportliche Aktivitäten und Entspannungsübungen Kopfschmerzen und Migräne eindämmen können. Sechs Monate nach Abschluss des Programms und nochmal nach einem Jahr kontrollieren wir den Erfolg und veranlassen gegebenenfalls weitere Behandlungen. Natürlich müssen wir eine größere Zahl an Patienten das Programm durchlaufen lassen, um seine Wirksamkeit genauer einschätzen zu können.

„DreKiP“ wurde ermöglicht durch Spendengelder der Aktion „Dresdner helfen Dresdnern“ der „Dresdner Neuesten Nachrichten“ und des „Dresdner Kinderhilfe e.V.“. Konnten Sie inzwischen weitere Geldgeber gewinnen?
Professor Sabatowski: Momentan sind wir in Verhandlungen mit den Krankenkassen. Wir hoffen auf einen positiven Be­scheid. Man darf nicht vergessen, dass unbehandelter Kopf­schmerz nicht nur die Lebensqualität eines Menschen entscheidend einschränken kann, auch der schulische und im Weiteren der berufliche Werdegang leiden. Im schlimmsten Fall droht Erwerbsunfähigkeit. Prävention in jungen Jahren kommt deshalb viel billiger als kostspielige Therapien im fortgeschrittenen Alter. Es wäre bedauerlich, wenn wir nur auf Spendengelder angewiesen blieben, da uns dadurch eine effektive Weiterent­wicklung des Programms erschwert werden würde. Dabei findet unser Konzept inzwischen deutschlandweit Beachtung, auf dem Deutschen Schmerzkongress 2016 erhielten wir für die Vorstellung des Projekts einen Posterpreis.

Der Bedarf an derartigen ambulanten Therapieangeboten für Kinder und Jugendliche ist zweifellos sehr groß. Wie geht man anderswo mit der Problematik um?
PD Dr. Goßrau: In Deutschland gibt es nur wenige stationäre Einrichtungen, beispielsweise im Deutschen Kinderschmerz­zentrum in Datteln oder in der Migräneklinik in Königstein, wo multimodale Schmerztherapie für Kinder angeboten wird. Die Nachfrage für solche Therapien ist deutlich größer als das Angebot. In den USA greift man zum Teil auf internetbasierte Programme zurück, mit denen die Betroffenen von zuhause aus sich selbst therapieren sollen. Wir glauben, dass unser Ansatz der ambulanten Therapie, die wir weiter entwickeln werden, gut geeignet ist, Kinder und Jugendliche zu befähigen, ihrem Kopfschmerz wirksam zu begegnen. Momentan reichen unsere Kapazitäten aber bei weitem nicht aus.

https://www.uniklinikum-dresden.de/de/das-klinikum/universitaetscentren/usc

Interview: Regine Hauswald-Tezky

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