Ein Zungenschrittmacher hilft gegen nächtliche Atemaussetzer

v.l.: PD Dr. med. habil. Dipl.-Oec. Stephan B. Sobottka, Geschäftsführender Oberarzt an der Klinik und Poliklinik für Neuro­chirurgie, und Dr. med. Amir Zolal, Facharzt für Neurochirurgie am Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden / Foto: © UKD
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Schnarchen ist lästig, gepaart mit Atemaussetzern sogar sehr ungesund. Als eines der ersten Zentren in Ost­deutsch­land implantieren die Neurochirurgen am Uni­klinikum Dresden ein atemgesteuertes Simu­lations­system, einen sogenannten Zungenschrittmacher. Er­schlaff­te Zungen­muskeln, die den Rachenraum im Schlaf verschließen, stimulieren die Mediziner im Team von Professorin Gabriele Schackert mit elektrischen Impulsen. Den Patienten bleibt nun des Nachts nicht mehr die Luft weg. So haben schwer betroffene Patienten erstmals eine Alternative zu Beat­mungs­masken, die nicht für jeden geeignet sind.

Einatmen, ausatmen. Luftsauerstoff gelangt in den Körper, Kohlenstoffdioxid wird ausgeschieden. Wir atmen im Schlaf etwa 16 Mal pro Minute ein und aus. Das ist ein lebenswichtiger Prozess, der intuitiv und rhythmisch abläuft. Doch fünf Prozent der Deutschen leiden unter einer Schlafapnoe. „Dabei setzt mehrmals in der Nacht die Atmung aus“, erklärt Dr. med. Amir Zolal, Facharzt an der Klinik für Neurochirurgie und Leiter der Ambulanz für Chirurgie der peripheren Nerven. „Das führt zu einer verringerten Sauerstoffversorgung. Bevor der Patient aufgrund des erhöhten Kohlendioxidspiegels im Blut teilweise aufwacht, atmet er oft 30 bis 60 Sekunden nicht.“

Der nächtliche Schlaf ist dann alles andere als erholsam. Menschen, die an Schlafapnoe leiden, sind zudem oft tagsüber müde und erschöpft. Ständig wiederkehrender Sauerstoff­mangel schädigt außerdem mittelfristig die Blutgefäße, kann zu hohem Blutdruck und langfristig zu ernsthaften Herz-Kreislaufproblemen bis hin zu Herzinfarkten und Schlagan­fällen führen. Aus diesem Grund müssen Schnarcher mit Atem­aussetzern behandelt werden.

Die Ursache: Bei der Schlafapnoe verschließt sich nachts der Atemweg, weil sich natürlicherweise während des Schlafs die Muskeln etwas entspannen. Das gilt auch für die Muskeln im Rachen, im Gaumensegel, in der Zunge. Wenn diese Muskeln zu schlaff sind, können sie den weichen Schlauch im Rachen nicht mehr offenhalten. Dann fällt der wie ein Luftballon zusammen, aus dem die Luft herausgelassen wird. Manche Menschen haben eine Veranlagung dafür. Außerdem lässt die Muskelkraft im Alter nach. Bei starkem Übergewicht reichert sich auch im Rachen Gewebe an und erschwert die Atmung.

Prof. Dr. med. G. Schackert, Direktorin der Klinik und Poliklinik für Neuro­chirurgie am Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden / Foto: Thomas Albrecht

Herkömmlich bekommen Patienten, die an einer Schlaf­apnoe leiden, für die Nacht eine sogenannte PAP (positive airway pressure)-Therapie mit Beatmungsmasken, die die Atem­wege durch einen konstanten Luftdruck freihalten soll. Diese Therapie ist bei 70 bis 80 Prozent der Patienten sehr erfolgreich. Auch Unterkieferschienen werden gegen die Atemaussetzer eingesetzt. Wie bei einer Brille müssen Atemmasken oder Unterkieferschienen lebenslang getragen werden. Doch wer vom Lungenarzt oder anderen Fachärzten in die Sprechstunde der Neurochirurgen des Universitätsklinikums überwiesen wird, hat zumeist einen Leidensweg hinter sich, weiß Amir Zolal: „Nicht alle Patienten kommen mit der Atemmaske klar. In einigen Fällen verrutscht diese im Schlaf und hat damit vor allem einen störenden und keinen regenerierenden Effekt.“ Auch mit Unterkieferschienen kommen einige Patienten nicht zurecht. Diesen Menschen bietet ein Zungenschrittmacher, in der Fachsprache Hypoglossus-Stimulator genannt, jetzt eine wirkliche Alternative.

Die Auswahl seiner Patienten, die für ein atmungsgesteuertes Simulationsgerät überhaupt in Frage kommen, nennt Zolal hochselektiv: „Der Betroffene darf zum Beispiel keine Lun­gen­krankheit, kein übermäßiges Übergewicht haben und keinen Herzschrittmacher tragen.“ Außerdem ist der Zungenschritt­macher nicht für jeden Schnarcher geeignet. Nur wenn eine obstruktive Schlafapnoe vorliegt, bei der der Zungenmuskel im Rachen kollabiert, kann das Gerät implantiert werden. Im Inter­disziplinären Schlaflabor des Uniklinikums oder im Fach­kranken­haus Coswig werden dafür die endoskopischen Vor­untersuchungen gemacht, den Patienten während des Schla­fens direkt im Rachenraum mit einer kleinen Kamera zugeschaut. Erst dann erfolgt der Eingriff in der Neurochirurgie. Das Gerät ähnelt einem Herzschrittmacher, nur dass der Stimulator die elektrischen Impulse nicht ans Herz, sondern an den Unterzungennerv sendet – bei jedem Einatmen. Um das Stimulationssystem im Körper zu platzieren, legen die Neuro­chirurgen während der Operation den zwölften Hirnnerven, den Unterzungennerv, am Unterkiefer der Patienten frei. Noch während der Operation überprüfen die Mediziner, welcher der Nervenäste für das Vorstrecken der Zunge verantwortlich ist und legen eine Elektrode um den Nerv. Ähnlich wie ein Herzschrittmacher wird der Stimulator unterhalb des Schlüs­sel­­beins angesetzt. Von einem im Brustkorb implantierten Sensor erhält er die Informationen über die Atmung. Zieht sich das Zwerchfell des Patienten beim Einatmen zusammen, sendet der Schrittmacher über ein zweites Kabel einen schwachen elektrischen Impuls an den Hypoglossus-Nerv. Wird er stimuliert, bleibt die Zunge im vorderen Rachenraum des Schlafenden. Den Atemaussetzern wird so vorgebeugt.

Dr. med. Amir Zolal, Facharzt für Neurochirurgie, mit einer Patientin / Foto: © Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden

Insgesamt sind drei kleine Schnitte nötig. Die rund dreieinhalb Stunden dauernde Operation unter Vollnarkose wird dabei minimalinvasiv vorgenommen, sodass die Patienten nur kurze Zeit brauchen, um sich nach der Operation zu erholen. Mit der Implantation des Zungenschrittmachers gehören die Dresdner Neurochirurgen zu den Vorreitern: Weltweit wurden erst 2.000 dieser Geräte implantiert.

Wenige Tage nach dem Eingriff dürfen die Patienten nach Hause. „Denn der Schrittmacher muss vier Wochen lang einheilen“, berichtet Amir Zolal. „Dann wird er in der Klinik zum ersten Mal eingeschaltet, läuft zuerst auf einer Standard­ein­stellung. Weitere vier Wochen später wird das Gerät im Schlaflabor optimal eingestellt.“ Im Alltag schaltet der Patient per Fernbedienung die Stimulation beim Zubettgehen ein und gibt eine ungefähre Einschlafdauer an. Der Zungenschritt­macher beginnt mit seiner Arbeit. Zur Sicherheit schaltet sich das Gerät nach einer Betriebsdauer von acht Stunden automatisch ab. So wird auch der implantierte Generator geschont.

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Text: Birte Urban-Eicheler

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