Diagnose Brustkrebs ist kein Todesurteil mehr!

Seit 2003 arbeiten Experten unterschiedlicher Fachgebiete im Brustzentrum Ostsachsen gemeinsam gegen den Krebs, für eine umfassende und individuelle Versorgung und Betreuung von Frauen und Männern mit Brustkrebs.

Im Gespräch mit der Leiterin des Brustzentrums Sebnitz, Tina Winkler, der Chefärztin für Radiologie, Martina Liese, dem leitenden Oberarzt für Gynäkologie und medizinischen Leiter des Brustzentrums Ostsachsen am Standort Sebnitz, Stefan Päßler, der leitenden Stationsschwester für Gynäkologie und Breast Care Nurse Cathlen Mühle sowie der Patientin Irmgard Krumnow erörtern wir die Entwicklung, die die Behandlung eines Mamma­karzinoms in den letzten  rund 20 Jahren genommen hat. Frau Krumnow hatte im Jahr 2000 schon einmal eine Brust­krebs­behandlung und erkrankte 2017 erneut. Sie hat am eigenen Leib erfahren, welche enormen Fortschritte in der Ver­sorgung der Pa­tien­ten gemacht werden konnten. Wir fragen zuerst die Spezia­listen.

Martina Liese, Chefärztin der Radiologie und Stefan Päßler, medizinischer Leiter des Brustzentrums Ostsachsen am Standort Sebnitz / Foto: © Andor Schlegel

Was bedeutet die Diagnose Brustkrebs heute? Wie häufig ist Brustkrebs?
Brustkrebs ist mit etwa 30 Prozent die häufigste Krebser­kran­kung bei Frauen in allen Staaten der industrialisierten Welt. Seit den 1980er Jahren ist die Zahl der Fälle auf das Doppelte gestiegen. Auch Männer können an Brustkrebs erkranken, allerdings sehr selten: Auf etwa 115 Erkrankungen bei Frauen kommt eine bei einem Mann. In Deutschland wird die Diagnose ungefähr 600 Mal bei Männern, rund 69.000 Mal jährlich bei Frauen ge­stellt.  Im Brust­zentrum Sebnitz  werden jährlich etwa 90 pri­mä­re Brustkrebsfälle behandelt, in den letzten Jahren waren darunter auch einige Männer. Brustkrebs ist die häufigste, aber nicht notwendig die gefährlichste Krebserkrankung bei der Frau. Rechtzeitig erkannt und behandelt, sind die meisten Erkran­kungen heilbar. Die Heilungsrate ist in den letzten zehn Jahren durch eine verbesserte Früherkennung, neue Therapiekonzepte (operativ, strahlentherapeutisch und medikamentös) und die interdisziplinäre Betreuung in den zertifizierten Zentren gestiegen. Derzeit er­krankt eine von acht Frauen im Laufe ihres Lebens an Brust­krebs.

Was sind Ursachen und Risikofaktoren für Brustkrebs?
Die Rate der Brustkrebsfälle unterscheidet sich in den einzelnen Ländern. In Japan zum Beispiel liegt sie niedriger als in Deutsch­land. Mit großer Wahrscheinlichkeit ergeben sich die Unter­schiede aus Ernährungs- und Lebensweise in diesen Ländern. Die genauen Ursachen von Brustkrebs sind bis heute kaum be­kannt. Man kennt jedoch einige Risikofaktoren wie unter anderem Übergewicht, Alkohol, die jahrelange Einnahme von Ge­schlechtshormonen, Kinderlosigkeit und genetische Verände­rungen.

Was löst die Diagnose „Brustkrebs”bei den Betroffenen aus?
Die Diagnose „Sie haben Krebs“ ist für die meisten Patienten zu­nächst ein Schock. Die Diagnose „Brustkrebs“ stellt eine zusätzliche psychische Verunsicherung für betroffene Frauen dar, weil sie zutiefst deren Weiblichkeit berührt. Direkt im Anschluss an die Krebsdiagnose schwanken die Betroffenen häufig zwischen Verzweiflung, Hilflosigkeit, Angst und Wut. Klares Denken und Handeln sind oft nicht mehr möglich. In Folge auf die Diagnose zeigen fast die Hälfte der Frauen mit Brustkrebs die Anzeichen eines psychischen Traumas, gekennzeichnet u.a. durch Angst­attacken und das Gefühl, wie betäubt und erstarrt zu sein. Auch und gerade in der Zeit während der laufenden medizinischen Behandlung und im Nachgang an den Abschluss der Behand­lung leidet ein großer Teil der Betrof­fenen unter den seelischen Auswirkungen der Krebser­kran­kung. Angst, Depression und Verzweiflung können das Leben der Krebspatienten enorm belasten. Krebs ist ein über Jahre anhaltender Stressfaktor. Die meisten Krebspatienten befürchten auch, dass die Krankheit wiederkehren, fortschreiten oder sich ausbreiten könnte. Werden Rezidive oder Metastasen auftreten? Wie wird mein Befund bei der nächsten Nachsorge­untersuchung ausfallen? Selten jedoch können die Angehörigen und Freunde allein die nötige Unter­stützung geben, denn auch sie selbst sind in dieser Ausnahme­situation belastet und häufig überfordert.

In den modernen multiprofessionellen Teams ist deshalb die Zusam­menarbeit mit einem Psychoonkologen selbstverständlich. Im Brustzentrum Ostsachsen betreut die Diplom-Psy­chologin Dr. phil. Dorit Schulze Patientinnen und deren Ange­hörige. Dabei zeigen schon beim Erhalt der Diagnose Menschen unterschiedliche Reaktionen. Es werden in jedem Fall Bera­tungs­gespräche mit der Psychoonkologin angeboten. Viele nehmen die Möglich­keit gern wahr, einige sagen „Ich schaff das allein.“ In allen Phasen der Behandlung besteht die Möglichkeit der Begleitung bis hin zu Palliativbetreuung. Fazit: Brustkrebs ist eine ernst­zunehmende Erkrankung, doch bei rechtzeitiger Entdeckung und Behandlung sind heute viele Patientinnen heilbar – oft sogar mit schonenden Methoden. Die Therapie wird inzwischen stark auf die einzelne Patientin und ihre individuelle Ausprä­gung der Erkrankung angepasst. Zu den zur Verfügung stehenden und häufig kombinierten Therapien zählen Opera­tion, Medikamente (insbesondere Zytostatika und antihormonelle Medikamente) und Strahlen­therapie.

Was hat sich in der Arbeit der Experten verändert?
Behandelnde Ärzte, das Pflegepersonal und Therapeuten verstehen sich heute viel stärker als Dienstleister für den Patienten. Darin sind sich Chefärztin Liese, Oberarzt Päßler, Klinik-Chefin Tina Winkler und Breast Care Nurse Cathlen Mühle einig. Ein multiprofessionelles Team braucht eine gute Koordinierung im Interesse des Patienten. Eine Schlüsselfunktion dabei nimmt Cathlen Mühle, die Breast Care Nurse in der Art einer „Case Managerin“ wahr. Die gynäkologische Schwester absolvierte eine 390-stündige Zusatzausbildung in München, die sie als extrem hilfreich ansieht, um mit Patienten, deren Angehörigen und behandelnden Experten immer auf Augenhöhe kommunizieren zu können und den jeweils individuell besten Behand­lungs­weg gemeinsam mit dem Patienten gehen zu können. Eine zufriedene Patientin Irmgard Krumnow bestätigt: „Nach einer Besprechung am runden Tisch ging man mit dem Gefühl raus, du bist an der richtigen Stelle, du wirst versorgt.“

Wie sieht es die Patientin?
Irmgard Krumnow erscheint zum Gespräch mit ihrem Ehemann Peter. Die beiden haben schon vieles gemeinsam gemeistert und sich gegenseitig unterstützt. Ihr Frauenarzt in Neustadt stellte im Jahr 2000 in ihrer rechten Brust Knoten fest, sie hatte auch Schmerzen. Es wurde entschieden, sofort zu operieren. Nach einer Woche kam der Befund und in einem größeren Areal wurden anschließend alle Lymphgefäße entfernt. Die Ärzte setzten zwei Zyklen Chemotherapie an „…und über Nacht fielen meine Haare aus.“ Frau Krumnow war damals 56 Jahre alt. Danach ging es in die Strahlenklinik in Dresden, nach der Strahlentherapie folgte eine dritte Chemotherapie. Eine vierte konnte nicht mehr durchgeführt werden, weil ihr Knochenmark keine roten Blut­körperchen mehr gebildet hätte, berichtet Frau Krumnow.
Sie sei damals mindestens eine Woche im Krankenhaus in Qua­ran­täne geblieben, weil sie so schlechte Blutwerte hatte. Die Behand­lung zog sich bis in den Februar 2001. Im März 2001 hat es eine An­schluss­heilbehandlung in einer Rehaklinik gegeben. Sie sei nicht zufrieden gewesen, aber da sie ein von Grund auf optimistischer Mensch sei, habe sie danach positiv weitergemacht. Das Ehepaar sagt, dass die Entscheidungen damals von den Ärzten getroffen wurden, sie hätten keine Wahl gehabt. Vom medizinischen Stand­punkt aus war dies sicher richtig. Die lebensfrohe Frau konnte wieder arbeiten, die Kontrollen aller viertel, dann aller halben Jahre  und schließlich einmal jährlich blieben ohne Befund. Bis im Mai 2017 die Frauen­ärztin in einer Ultraschall­unter­suchung bemerkte, dass von den bekannten Zysten alle vertrocknet waren, doch eine davon unregelmäßig aussah. Jetzt könnte man vermuten, dass diese Aussage die Krumnows schockiert hätte, aber sie gingen die Diagnose eher sachlich und vorsichtig optimistisch an. Es wurden einige Untersuchungen (Mammo­grafie und Biopsie) vorgenommen und anschließend „ganz hochwertig und verständlich“ mit den beiden besprochen, die Ärzte seien sehr fachlich gewesen, hätten aber zu jeder Zeit Normalität demonstriert. Erst einmal habe man gegenseitig Vertrauen hergestellt, dann in Ruhe alles besprochen und alle Vorunter­suchungen fertig gemacht, bevor Frau Krumnow auf Station kam. ,,Der gesamte Ablauf wurde durch das Ärzteteam top organisiert”, so Peter K. Seine Frau strahlt: „Das war ein Unter­schied wie Tag und Nacht. Früher war da mehr Hierarchie. Jetzt war das menschlicher und man wurde mit einbezogen. Man konnte als Patient selbst entscheiden, was man möchte und was nicht. Früher habe ich mich eher ausgeliefert gefühlt.“ Diesmal wurden gleich mehrere Alter­na­tiven diskutiert. Eine Hormon­therapie vor der Operation lehnte Frau Krumnow ab. Sie habe das aber mit ihrer Frauen­ärztin und Oberarzt Päßler abgestimmt, erzählt die fitte ältere Dame. Wann war das eigentlich genau? Es stellt sich heraus, dass die Operation zum Tag des Interviews ganze sechs Tage zurückliegt! Kaum zu glauben, wenn man sieht, wie freudig und wach Irmgard und Peter Krumnow erzählen und sich bewegen.

Cathlen Mühle (leitende Stationsschwester Gynäkologie, Breast Care Nurse) mit der zufriedenen Patientin Irmgard Krumnow / Foto: Andor Schlegel

Was würde Irmgard Krumnow aus ihren Erfahrungen heraus raten? „Bei Knoten gleich zum Arzt gehen, bevor sich das ausbreitet. Zum Brustzentrum gehen. Dort sind kompetente Menschen, die das alles in die Hand nehmen. Auf die Familie, Freunde und die Ärzte vertrauen. Die Situation nicht negativ bewerten.!“

Was ist das Brustzentrum Ostsachsen?
Die Idee für ein Behandlungszentrum für Erkrankungen der Brust kam den Chefärzten der gynäkologischen Kliniken in Zittau, Ebersbach und Sebnitz bereits 1999. Hintergrund war und ist der Anspruch einer ganzheitlichen Betreuung von Menschen mit Brustkrebs. Moderne Medizin geht davon aus: Es ist das Ensemble biologischer, sozialer und auch psychischer Faktoren, die letztendlich Krankheit und Gesundheit eines Men­schen ausmachen. In einer Gegend wie dem Oberlausitzer Berg­land ist der beste Weg, die Idee der „Ganzheitlichkeit“ praktisch in Behandlung und Betreuung erkrankter Menschen umzusetzen, Experten­wissen und -können der Region zu bündeln.

Deshalb haben sich 2003 die Sächsische Schweiz Klinik Sebnitz und das Klinikum Oberlausitzer Bergland zum Brust­zentrum Ostsachsen zusammengeschlossen. Gemeinsam mit niedergelassenen Ärzten der Region bilden sie seitdem eine zentrale An­laufstelle für Patientinnen und Patienten ebenso wie für Kolle­gen. Das Brustzentrum Ostsachsen wurde 2005 nach den Richt­linien der Deutschen Krebsgesellschaft und der Deutschen Gesell­schaft für Senologie (die Lehre von der weiblichen Brust) zertifiziert und wurde als Kompetenzzentrum für Bruster­kran­kungen anerkannt. Die strengen Qualitätskriterien werden jährlich durch Audits der Fachgesellschaft Onkozert, das ist die unab­hängige Zertifizierungs­stelle der Deutschen Krebs­ge­sellschaft, und der deutschen Gesellschaft für Senologie, überprüft.

Tina Winkler, seit dem 1. Juli 2017 neue Geschäftsführerin der Asklepios Sächsischen Schweiz Klinik Sebnitz, mit Stefan Härtel, Geschäftsführer aller drei Asklepios Kliniken in Ostsachsen (Hohwald, Sebnitz und Radeberg) / © Andor Schlegel Fotografie

Aller drei Jahre  finden Rezertifizierungen statt, so auch 2017.
Der Wert eines solchen Zentrums liegt im abgestimmten Vorgehen für eine optimale Erkennung und Behandlung einer Erkrankung, die immer einen erheblichen Einschnitt im Leben Betroffener darstellt. Soweit man heute weiß, hat jede Krebs­erkrankung eine individuelle Geschichte und einen individuellen Verlauf. Deshalb kann es dafür keine „technische“ Routine­behandlung geben. Um eine wirkungsvolle und gleichzeitig Lebensqualität verbessernde Behandlung zu ermöglichen, vereint das Brustzentrum neben den Fachdisziplinen Diagnosti­sche Radiologie, Gynäkologie, Chirurgie, Pathologie, Innere Medizin (Onkologie), Strahlentherapie und Nuklearmedizin auch Selbsthilfegruppen, Sozialdienst, Psycho­onkologen und ambulante Frauen- und Hausärzte. Im Ergebnis dieses vor- und nachstationären Netzwerkes zur Diagnostik und Therapie von Brustkrebs werden alle Frauen und Männer mit Brustkrebserkrankungen aufgefangen und gehalten. Alle Abläufe und Verfahren, die für Heilung und Wohlbefin­den Betroffener in Frage kommen, wurden in das Brustzentrum aufgenommen und werden permanent den weltweit höchsten Standards angepasst. Chefärztin Liese: „Wenn bei einer Patientin die Diagnose Brust­krebs rauskommt, muss man gemeinsam hinsehen, unterschiedliche Aspekte bedenken. Es gibt nicht EINEN Brustkrebs.“ Im großen Tumor­board besprechen mehrere Gynäkologen, mehrere Onkologen, mehrere Radiologen die Situation und zwar, nachdem mit der Patientin selber gesprochen wurde. Das Ergebnis ist: Menschen werden begleitet, nicht therapiert. Und: Ärzte arbeiten MIT Patienten, nicht an ihnen.

Brustzentrum Ostsachsen
Asklepios Sächsische Schweiz Klinik Sebnitz
Dr.-Steudner-Straße 75B, 01855 Sebnitz
Telefon: 035971 60
www.bzos.de

Text: Angelika Mosshammer

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