Dental 4.0: Von der Insellösung zur komplexen digitalen Anwendung

Dr. med. dent. Conrad Kühnöl ­begeistert seine Patienten mit innovativer Zahnmedizin, medizinischer Hightech-Ausstattung und ganzheitlicher Behandlung. / Foto: © Dr. Kühnöl
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Wir sprachen mit Dr. Conrad Kühnöl über die Zukunft der digitalen Zahn­medizin, die einer technologischen Revolution gleichkommt.

Die Zahnmedizin hat in den letzten Jahren einen riesigen Schritt in eine bessere Zukunft gemacht, die sowohl für Patienten als auch für die Mediziner mit geringeren Belastungen und effizienterer Behandlung einhergeht. Noch vor wenigen Jahren arbeitete man mit sogenannten Insellösungen, mit denen man Einzelzahnrestaurationen, 3D-Röntgenbilder, Kiefergelenksaufzeichnungen oder Kieferscans für den jeweiligen Einzelfall anfertigen konnte. Heute existieren in der Praxis komplexe Prozessketten, die es ermöglichen die Patienten in wesentlich verkürzter Zeit bei höchsten Qualitätskriterien zu diagnostizieren und zu therapieren. Das Versenden von einzelnen Datensätzen und die Verarbeitung durch Subunternehmen fällt weg. Damit werden Zeit und Geld gespart. Es ermöglicht dem Behandler gleichzeitig eine virtuelle Kontrolle und eine deutlich bessere Behandlungsplanung.

Herr Dr. Kühnöl, Sie haben dieses Jahr den Tagungsbestpreis beim deutschen Zahnärztetag in Frankfurt am Main erhalten, waren als Referent auf Kongressreise in Italien, Frankreich und Spanien unterwegs, hielten einen Vortrag im Haupt­pro­gramm des größten Kongresses der Deutschen Gesellschaft für computergestützte Zahnheilkunde in Hamburg und haben auf dem internationalen Jahreskongress der deutschen Gesellschaft für zahn­ärztliche Implantologie in München eine einstündige Live-OP absolviert. Haben Sie denn auch Zeit, in Ihrer Heimatstadt Dresden und in Sachsen als Ausbilder aktiv zu sein?

Dr. Kühnöl: Selbstverständlich liegt es mir persönlich am Herzen, unser Wissen auch vor Ort weiterzugeben. Wir kooperieren mit der TU Dresden, halten regelmäßig Kurse in unserer Praxis und haben zahlreiche Hospitationen interessierter Kollegen. Weiter­hin kommen viele unserer Berufskollegen aus Sachsen zu uns als Patienten in die Sprechstunde. Bei Bedarf finden Patientenkurse in der Volkshochschule Dresden statt.

Wie sieht das Implantatsystem der Zukunft aus?

Das Implantatsystem von heute, das nicht auf Aushei­lung ausgelegt ist, wird es in Zu­kunft nicht mehr geben. Ein Arzt, der bei einer Infektion ein Antibioti­kum gibt, erwartet nach der Thera­pie ein ausgeheiltes regeneriertes Gewebe. Der Zahnarzt baut Fremd­körper (Füllungen, Kro­nen, Keramikverblend­scha­len, Implanta­te, Wurzelfüllun­gen) ein und versucht damit, die Natur zu überlisten. Doch ein Zahnarzt kann nie keimfrei arbeiten. Derzeit sind in der Mundhöhle 12.000 verschiedene Lebe­wesen bekannt. Jede Füllung, jede Krone, jede Wurzel­füllung und auch jeder Durchtritt eines Implantates durch die Schleimhaut ist mit Keimen besiedelt. Durch extrem hohe Standards der Medizin­produkte, der Be­hand­lungs­kon­zepte in den Praxen sowie des Prophylaxeregimes schaffen wir es zwar, dass die Therapie überwiegend positiv und auch langfristig funktioniert. Allerdings wäre eine echt ausheilende Therapie wesentlich effizienter, da sich ein körpereigenes biologisches Gewebe selbst regenerieren kann. Genau in diese Richtung gehen zukunftsorientierte Forschungsprojekte. Bei der Max-Planck-Gesellschaft laufen Projekte, die Zahnschmelz züchten, um Defekte am Zahn zu reparieren und somit auszuheilen. An der TU Berlin wiederum wird derzeit geforscht, neue Zähne aus lebenden, körpereigenen Zellen zu züchten. Leider ist zum jetzigen Zeitpunkt keinerlei zeitliche Angabe zu machen, wann diese Projekte serienreif sein werden.

Was unterscheidet ein modernes digitales Implantat­system vom klassischen?

Ein modernes Implantatsystem muss sich in den digitalen Workflow einpassen. Das erreichen wir aber nicht, indem ein ursprünglich analoges System digitalisiert wird. Stattdessen wird von vielen Herstellern neu konzipiert. Moderne Systeme werden auf den Markt gebracht. In unserer Praxis verwenden wir ein System eines der führenden Hersteller. Ich kann dadurch praktisch alle Fälle abdecken, habe trotz weniger Komponenten ein breiteres Anwendungsspektrum und kann im digitalen Workflow innerhalb einer Stunde eine Einzelzahn­versorgung durchführen. Durch eine genaue virtuelle Planung erreichen wir ein sehr gutes Ergebnis und können gleichzeitig einige chirurgische Eingriffe weglassen oder die notwendigen Operationen soweit verkürzen, dass der Stress für das Gewebe und somit für den Patienten deutlich minimiert wird.

Abb. 1:  Die gleiche schonende Vorgehensweise funktioniert auch bei komplexen Fällen. Durch die virtuelle Vorbereitung des Falles entsteht dem Patienten eine enorme Kosteneinsparung bei hoher Qualität und deutlich weniger operativem Stress.
Abb. 2+3: Kombination eines Kieferscans mit einem 3D-Facescan zur besseren Rekonstruktion der Front. Somit kann das optimale Lippenbild virtuell geplant werden Nach Ausdruck am 3D-Drucker und der Einprobe in Kunststoff wird der Datensatz dann durch kompatible Hightech 1:1 in Keramik umgewandelt / Abbildungen: Dr. Kühnöl
Ein durch KI ausgewerteter Ganzkieferscan. Blau stellt Mikroabrasionen dar, rot ist entzündlich bedingter Zahnfleischrückgang. Durch eine funktionelle Therapie bleiben dem Patienten zukünftige große Zahnsubstanz zerstörende Maßnahmen erspart. / Abb.: Dr. Kühnöl

Was zeichnet eine moderne Zahnarztpraxis von heute aus?

In der Entwicklung der digitalen Zahnmedizin sind Parallelen zur Entwicklung in der Industrie zu sehen. Erste Syste­me wie Mundscanner oder digitale Röntgensysteme waren den analogen Verfahren qualitativ deutlich unterlegen. Diese Systeme fanden Einzug in einzelne Praxen von Enthusiasten. Es wurde digital, weil es ging, nicht weil es einen Nutzen gebracht hat. Diese Kollegen waren außerordentlich wichtig für die Entwicklung der ausgefeilten Hightech-Verfahren von heute. Danach wurden die vorhandenen Tech­no­logien verbessert und zu einsatzfähigen Einzel­­komponenten weiterentwickelt. Der nächs­te Schritt ist eine sehr gut funktionierende Insellösung auf Augenhöhe mit den bis dahin vorherrschenden Technologien. Ein gut funktionierender Mundscanner oder ein 3D-Röntgen­gerät bereicherten den Praxis­alltag und verbesserten die Diag­nostik und Therapie. Eine moderne Praxis von heute ist vergleichbar mit der Industrie 4.0. Die Anfänge von künstlicher Intelligenz werten riesige Mengen von Daten aus. Biogenerische Datenbanken kreieren Ver­sorgun­gen vom gesamten Kiefer, um sie am Patienten auszuprobieren, bevor eine sichere durch den Patienten ausprobierte Lösung eingesetzt wird. Virtuell wird aus zahlreichen Datensätzen des Patienten ein Abbild geschaffen, an dem man Operationen ausprobieren kann, bevor man den Patienten dann tatsächlich minimalinvasiv behandelt. Kiefer­gelenke aus 3D-Aufnahmen werden mit Bewe­gungs­­aufzeich­nungen und Kieferscans kombiniert, um das Pro­blem zu erkennen und die CMD (craniomandibuläre Dysfunktion) wesentlich effektiver zu behandeln.

Worin sehen Sie Probleme beim Transformations­pro­zess?

Ein riesiges Problem ist die Frage der Investition in der einzelnen Praxis. Nicht ganz zu Unrecht, denn es gibt viele Kompo-nenten beim Ankauf zu beachten: Wurden der richtige Scanner, das kompatible Röntgengerät gewählt? Wenn das Daten­format der Bewegungsaufzeichnung nicht passt, muss es entweder mit einem enormen Zeitaufwand umprogrammiert werden. Oder der Arzt muss die Konstruktion der Implantat­schiene ande­ren Firmen überlassen, die wiederum Kiefer, Knochen und Zahn­fleisch­­qualität der Patienten nicht kennen. Dadurch werden natürlich Zeitdauer und Preis deutlich in die Höhe getrieben.
All das muss ich dem Patienten dann in Rechnung stellen. Die moderne digitale Technologie verkürzt dagegen die Behand­lungs­zeit, stresst den Patienten deutlich weniger und reduziert die Kosten er­heblich.

Ein und derselbe Datensatz, durch verschiedene kompatible Programme für die benötigte Diag­­­nostik aufgearbeitet. Somit werden dem Patienten unnötige Rönt­gen­bilder erspart. / Abb.: Dr. Kühnöl
Abb.: Durch Einfügen des oben gezeigten kompatiblen Scandatensatzes ist mit weiteren Programmen eine CMD erweitert diagnostizierbar sowie eine Atemwegsanalyse durchführbar. / Abb.: Dr. Kühnöl

Wie sieht eine moderne Diagnostik aus?

Zurzeit erfolgt in der Zahnmedizin eine Umstellung auf das sogenannte Monitoring. Bisher wurden Messungen per Hand dokumentiert. Durch wiederholte zeitversetzte Scan­prozes­se und die nachfolgende Auswertung mit integrierter KI gewinnen wir heute wesentlich präzisere Daten, mit denen wir Anzeichen einer krankhaften Veränderung wesentlich früher feststellen und entsprechende Gegenmaßnahmen einleiten können. Wir sprechen hier von Veränderungen an Zahn oder Zahnfleisch im Zehn-Mikro­meter-Bereich. Ein Haar im Größen­vergleich hat etwa 100 Mikro­meter Durchmesser.

Es wird viel von Ärztemangel vor allem auf dem Lande gesprochen. Wäre die digitale Zahnmedizin ein Lösungsansatz?

Von 71.575 derzeit aktiven Zahnärzten sind 18.510 über 60 Jahre alt. In der zahnärztlichen Praxis werden sie im Moment mit administrativen Aufgaben überschüttet. Von 223 Arbeitstagen jährlich werden 100 Tage für bürokratische Aufgaben und 123 Tage für die Behandlung von Patienten genutzt. Die Tätigkeit in der eigenen Praxis ist in den letzten Jahren zunehmend unattraktiver geworden. Dadurch werden diese älteren Kollegen früher aufhören. Die Übernahme einer Praxis durch junge Kollegen ziehen lediglich 20 Prozent ernsthaft in Betracht. Angestellte Zahnärzte haben einen wesentlich geringeren Umsatz und wesentlich kürzere Arbeitszeiten, so dass bei einem unveränderten Diagnostik- und Therapiever­halten mit ernstzunehmenden Engpässen in der Versorgung der Bevölkerung vor allem im ländlichen Bereich zu rechnen ist. Eine koordinierte Digitalisierung auf modernstem Niveau wird die Probleme etwas mildern.

Wie ist es diesbezüglich um den Wissenstransfer bestellt?

Ein gewisses Problem besteht auch in der Weiter­bildung der Kollegen. Mit zunehmendem Alter ist die komplette Umstellung der Diagnostik und Therapie nicht mehr so einfach. Wünschenswert wären hier staatliche Anreize, die eine qualifizierte Digitalisierung vorantreiben, ohne die älteren Kollegen vor den Kopf zu stoßen und sie damit zur frühzeitigen Aufgabe ihrer zahnärztlichen Tätigkeit zu bewegen. Ohne den subjek­tiven Faktor würde die vollständige Digitalisierung der Praxen das Mangelproblem lösen, den Patientenkomfort er­höhen, die Preise für die Patienten erheblich senken und die wirtschaftliche Attraktivität der Praxen deutlich steigern.

Zahnarztpraxis
Dr. med. dent. Conrad Kühnöl

Bayreuther Strasse 30 I 01187 Dresden
Telefon 0351 471 09 70 I www.kuehnoel.de

Interview: Philipp Demankowski

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