Diagnostik und Forschung aus einer Hand

Kinder- und Frauenzentrum am Universitätsklinikum Carl Gustav Carus, Sitz des Instituts für Klinische Genetik der Medizinischen Fakultät Dresden im Haus 21 / Foto: Universitätsklinikum Carl Gustav Carus
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Das Institut für Klinische Genetik der Medizinischen Fakul­tät Carl Gustav Carus auf dem Campus des Dresdner Uni­klinikums forscht nach den Ursachen geistiger Entwicklungs­störungen und Hirnfehlbildungen.

Das Team von Direktorin Prof. Dr. med. Evelin Schröck nutzt außerdem die genetische und funktionelle Charakterisierung von Hirntumoren mit dem Ziel einer zielgerichteten Therapie. Zusätzlich fungiert die Genetische Ambulanz als erste Anlaufstelle für Familien, in denen genetische Erkrankungen bekannt sind. Dank großer Fortschritte in der Methodik der DNA-Sequen­zierung sind trotz großem genetischen Variantenreichtum genauere Krank­heitsidentifikationen möglich.

Prof. Dr. med. Evelin Schröck, Direktorin des Instituts für Klinische Genetik der Medizinischen Fakultät Carl-Gustav Carus auf dem Campus des Universitätsklinikums / Foto: Universitätsklinikum Carl Gustav Carus

Die Humangenetik ist eine noch relativ junge Fachdisziplin, die wie jede medizinische Revolution von viel Misstrauen begleitet wird. Das liegt in erster Linie darin begründet, dass auch 16 Jahre nachdem das menschliche Genom komplett entschlüsselt wurde, immer noch Unsicherheit in Bezug auf die Anwendung genetischer Methoden und Erkenntnisse vorherrscht. Umso wichtiger ist es, gegen dieses Unwissen mit qualitativ hochwertiger Arbeit und vielen Auftritten in der Öffentlichkeit anzugehen. Um Ressourcen optimal zu nutzen, hat das Institut Schwerpunkte bei der Forschung gesetzt. „Indem wir die Diagnostik mit der Forschung im gleichen Arbeitsfeld verbinden, nutzen wir die oft zu geringen Finanzmittel bestmöglich aus, denn wir wollen in beiden Bereichen auf dem höchsten Niveau arbeiten“, erklärt Prof. Schröck.

Es gibt aktuell über 7.000 genetisch bedingte Erkrankungen, wobei auch heute noch neue Krankheiten gefunden werden. Auch am Dresdner Institut für Klinische Genetik wurden 2015 zwei neue Syndrome beschrieben. „Das sind Patienten, die man vorher nirgends einordnen konnte“, sagt die Medizinerin. Dadurch entstehe ein großes Forschungsinteresse, das natürlich von einem Institut allein nicht befriedigt werden kann. Deshalb hat man sich in Dresden für die Suche nach den Ursachen der geistigen Entwicklungsstörungen nationale und internationale Partner gesucht. Es geht also um Menschen, deren Intelligenzquotient unter dem Durchschnitt liegt und die deshalb auch im Alltag Probleme haben. Diese Patienten werden mit ihren Familien in der Genetischen Ambulanz des Instituts betreut, wobei sie umfassend diagnostiziert werden. Einige der Patienten weisen neben Entwicklungsstörungen zusätzlich Hirnfehlbildungen auf. „Für diese Fälle haben wir in den letzten Jahren eine Forschungsgruppe aufgebaut, wobei die Patienten meist direkt aus der Diagnostik rekrutiert werden“, sagt Prof. Schröck.

Foto: Universitätsklinikum Carl Gustav Carus

Eine weitere große Gruppe mit genetisch bedingten Er­kran­kungen sind Patienten mit Tumorerkrankungen, die ebenfalls in der Genetischen Ambulanz betreut werden. Als Teil der Zentren für Familiären Brust- und Eierstockkrebs sowie für Familiären Darmkrebs ist man am Institut gerade für Patien­ten mit diesen Krebsarten ein besonders kompetenter An­sprechpartner. Diese Erfahrung kommt jetzt auch vielen weiteren Familien mit anderen familiären Tumoren zugute. Das wichtigste Instrument vor der Diagnostik ist eine möglichst lückenlose Stammbaumforschung. Dabei wird drei Gene­rationen zurückgegangen. „Es gibt eben doch schon eine große Anzahl von Fällen, bei denen sich Tumorerkrankungen in der Familie häufen. Darüber muss mehr aufgeklärt werden“, sagt die Ärztin. Im Idealfall kann nach der Diagnose eine umfassende Vorsorge und auch eine gezielte Therapie angeboten werden. Doch die ge­netischen Variationen sind vielfältig. Gelingt eine Identi­fi­ka­tion, ist die Gewissheit über die Krankheit eine große Hilfestellung im Alltag von Patienten und Angehörigen, auch wenn sich die Kostenträger mitunter sträuben, den Wert der Diagnostik anzuerkennen. Dabei ist der Bedarf sehr groß. In der Gene­tischen Ambulanz des Instituts werden jährlich immerhin mehr als 1.200 Ratsuchende und Familien betreut. Die Pa­tien­ten kommen dabei aus eigenem Antrieb oder werden von den Ärzten geschickt.

Als weiteren Forschungsschwerpunkt beschäftigt man sich mit dem Hirntumor, der trotz der gewaltigen medizinischen Fortschritte in den meisten Fällen immer noch zum Tod führt. Deswegen gibt es natürlich ein großes Forschungsinteresse bei Hirntumorpatienten. „Im Prinzip wollen wir aufzeigen, gegen welche genetische Veränderungen neue Medikamente entwickelt werden müssen“, erklärt Prof. Schröck.

Für die Tumoranalyse kooperiert das Institut eng mit dem Institut für Pathologie von Prof. Dr. Gustavo Baretton. Gemeinsam leiten die Professoren das Centrum für Molekulare Tumordiagnostik, kurz CMTD, das wiederum unter dem Dach des Nationalen Centrums für Tumorerkrankungen (NCT) als Partnerstandort für Heidelberg in Dresden angesiedelt ist. Eine solche Institution ist notwendig, damit die Erfahrungen und die Expertise der Klinischen Genetik und der Pathologie zusammenfließen und für eine bessere Betreuung der Patienten genutzt werden können. Seit einem Jahr arbeiten deshalb nun schon Pathologen und Humangenetiker in einem eigenen Labor zusammen. In Deutschland ist das einzigartig, denn an vergleichbaren Standorten gibt es oft Zuständig­keitsstreitigkeiten.

Die methodische Grundlage für die molekulare Charakte­risierung der Patienten ist ganz aktuell das sogenannte Next Generation Sequencing (NGS). Im Gegensatz zur herkömmlichen Sequenzierung nach Sanger ist es, vereinfacht gesagt, mit dem NGS möglich, um ein Vielfaches kostengünstiger und zeitsparender zu sequenzieren, also die Erbinformation aus den Genen auszulesen. „Das ist eine Entwicklung, die wirklich einem medizinischen Quantensprung gleichkommt“, zeigt sich Prof. Schröck euphorisch. „Ich kann jetzt DNA in zwei Tagen sequenzieren, für die ich vorher drei Jahre gebraucht habe.“ Allerdings wird dadurch auch eine weitaus höhere Anzahl an genetischen Varianten gefunden. Diese müssen wiederum bewertet werden, ob sie Krankheitsursache sind oder nicht. Die Kosten für die Auswertung sind also enorm, weshalb sich auch die Krankenkassen gegen das NGS lange gewehrt haben. Seit 1. Juli 2016 darf es nun in der Diagnostik nach jahrelangem Kampf eingesetzt werden. Die Nachfrage nach den Leistungen des Instituts für Klinische Genetik dürfte also weiter steigen.

Text: Philipp Demankowski

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