Frühzeitiges Erkennen eines familiären Krebsrisikos

Humangenetisches Beratungsgespräch durch Dr. Arne Jahn am Institut für Klinische Genetik der Hochschulmedizin Carl Gustav Carus Dresden. © Uniklinikum Dresden/Marc Eisele
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Eine Analyse erblicher Veränderungen bei seltenen Krebserkrankungen ermöglicht das frühzeitige Erkennen eines familiären Krebsrisikos und identifiziert therapeutische Ansatzpunkte.

Vererbbare genetische Veränderungen spielen für die Entstehung von Krebserkrankungen eine wichtige Rolle, bleiben jedoch bislang meist unentdeckt. Patient*innen sowie deren Familien könnten von einer frühzeitigen molekularen Diagnostik profitieren. Dies konnte ein internationales Forscherteam im Deutschen Krebskonsortium (DKTK) unter Leitung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Hochschulmedizin Carl Gustav Carus Dresden, des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) und am Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) in Dresden und Heidelberg in einer groß angelegten Studie im Rahmen des DKFZ/NCT/DKTK MASTER-Programms zeigen. 

Von den knapp 1.500 Patientinnen und Patienten waren rund 80 Prozent an seltenen Krebsarten erkrankt. Mehr als zehn Prozent aller Teilnehmenden wiesen eine erbliche Krebsveranlagung auf, die in 75 Prozent der Fälle bisher nicht bekannt war. Familienangehörige können nun bereits vor dem möglichen Auftreten der ersten Tumorerkrankung genetisch untersucht und in klinische Früherkennungsprogramme eingeschlossen werden. Die Ergebnisse der Studie wurden im Fachmagazin Annals of Oncology veröffentlicht.

Fachleute schätzen, dass sich etwa fünf bis zehn Prozent aller Krebserkrankungen auf erbliche genetische Veränderungen – auch Keimbahnveränderungen genannt – zurückführen lassen, die in allen Körperzellen vorliegen. Untersuchungen hierzu erfolgen bisher meist bei Patientinnen und Patienten mit eher häufigen Krebserkrankungen, wie Brust- und Darmkrebs.

In der nun vorliegenden Studie konnte ein internationales Forscherteam auf breiter Datenbasis zeigen, dass erbliche krebsfördernde Veränderungen bei unterschiedlichen seltenen Krebserkrankungen eine wichtige Rolle spielen, bisher aber kaum diagnostiziert werden. In die Untersuchung waren knapp 1.500 Patientinnen und Patienten eingeschlossen, von denen rund 80 Prozent an seltenen Tumoren erkrankt waren. Bei ihnen wurde basierend auf einer modernen Hochdurchsatzsequenzierung von Blut- und Tumorgenomen gezielt nach Keimbahnveränderungen in 101 klinisch relevanten Krebsrisikogenen gesucht.

Etwas mehr als zehn Prozent aller Teilnehmenden wiesen eine autosomal-dominant vererbbare Krebsveranlagung auf. Diese geht mit einem stark erhöhten Lebenszeitrisiko, an Krebs zu erkranken, einher und wird von Generation zu Generation unabhängig vom Geschlecht mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent weitergegeben. Für 75 Prozent der Patientinnen und Patienten sowie deren Familien wurde diese genetische Tumorrisikosituation erst im Rahmen der MASTER-Studie diagnostiziert. 

Evelin Schröck, Direktorin des Instituts für Klinische Genetik des Universitätsklinikums Carl Gustav Carus Dresden, erklärt: „Bei Verdacht auf Vorliegen eines solchen genetischen Tumorrisikosyndroms ist es besonders wichtig, die Patientinnen und Patienten und auch die Familienmitglieder genetisch zu testen, um das individuelle Krebsrisiko zu ermitteln und Krebserkrankungen durch engmaschige präventive Untersuchungen möglichst frühzeitig zu erkennen oder sogar verhindern zu können.“

In der MASTER-Studie wurden die genetischen Varianten im Blut und im Tumor für alle Patientinnen und Patienten von einem Expertenteam aus den Bereichen Bioinformatik, Biologie und Medizin (Humangenetik, Onkologie, Innere Medizin, Pathologie) gemeinsam bewertet und mehrmals wöchentlich im Molekularen Tumorboard besprochen. Es konnte gezeigt werden, dass die Analyse erblicher Krebsrisikofaktoren im Blut neben einer verbesserten Krebsfrüherkennung auch sehr wesentlich die Therapieentscheidung unterstützen kann. Bei knapp der Hälfte (46 Prozent) der Patientinnen und Patienten mit einer krebsfördernden Veränderung im Erbgut konnte eine zielgerichtete, auf den spezifischen genetischen Veränderungen beruhende Therapie empfohlen werden. Rund ein Viertel dieser Patientinnen und Patienten wurde gemäß der Empfehlung behandelt, wobei 40 Prozent der Betroffenen eine verbesserte Kontrolle der Erkrankung im Vergleich zur Vortherapie aufwiesen. 

Im Rahmen der Studie wurden genetische Veränderungen im Blut, die mit einem erhöhten Krebsrisiko einhergehen, bei Patienten mit bestimmten Krebserkrankungen noch sehr viel häufiger entdeckt – etwa bei seltenen Tumoren des Verdauungstrakts (Gastrointestinale Stromatumoren: 23 Prozent) und bösartigen Tumoren der glatten Muskulatur (Leiomyosarkome: 21 Prozent). Um diesen Zusammenhang weiter zu untersuchen, sind allerdings größere Fallzahlen für einzelne zum Teil sehr seltene Tumorarten nötig. 

Die aktuelle Studie bietet darüber hinaus Anknüpfungspunkte für zahlreiche weitere Fragestellungen. Dresdner Forschende wollen künftig etwa untersuchen, wie sie das Wissen um bestimmte seltene erbliche Krebserkrankungen am besten für eine gezielte Früherkennung und Therapie nutzen können. „Uns interessiert insbesondere, inwieweit sich dadurch die Lebenserwartung und die Lebensqualität der Patienten und ihrer Familienangehörigen steigern lässt“, sagt Arne Jahn, Erstautor der Studie und Clinician Scientist am Institut für Klinische Genetik sowie Arbeitsgruppenleiter am NCT/UCC Dresden. „Am Universitätsklinikum Dresden betreuen wir zusätzlich zur MASTER-Studie interdisziplinär jährlich mehr als 600 Personen und ihre Familienangehörigen zur Fragestellung eines genetischen Tumorrisikosyndroms. Wir sind in Kooperation mit anderen Kliniken und in deutschlandweiten Netzwerken am Aufbau von Strukturen für die verbesserte Versorgung und Krebsfrüherkennung von Patienten und Familien mit Tumorrisikosyndromen beteiligt. Perspektivisch wäre es wünschenswert, dass wir noch viel mehr Familien mit dem Verdacht auf eine erbliche Tumorerkrankung beziehungsweise ein genetisches Tumorrisikosyndrom ein ähnliches Angebot machen können“, so Schröck. 

Die vorliegende Studie wurde im Rahmen des DKFZ/NCT/DKTK MASTER-Programms umgesetzt. In diesem Präzisionsonkologie-Programm kooperieren neben dem DKFZ und den NCT-Standorten Heidelberg und Dresden auch die acht Partnerstandorte des Deutschen Konsortiums für Translationale Krebsforschung (DKTK). Das Programm zeigt auf Basis umfassender molekularer Analysen des Tumor- und des Kontrollgewebes für Patienten, die an seltenen Krebsarten oder ungewöhnlich jung an Krebs erkrankt sind, gezielte individualisierte Therapiemöglichkeiten auf und identifiziert genetische Tumorrisikosyndrome. Da bei seltenen Krebserkrankungen die Patientengruppen in einzelnen Krebszentren meist zu klein für aussagekräftige Untersuchungen sind, arbeiten die Kooperationspartner des MASTER-Programms deutschlandweit mit insgesamt mehr als 100 Partnern eng zusammen. Seit dem Start des Programms 2012 wurden bis 2022 mehr als 3.500 Patienten in MASTER eingeschlossen.

Kontakt für Patientinnen und Patienten, die Interesse an einer genetischen Untersuchung haben:

Hochschulmedizin Dresden / Sprechstunde für genetische Tumorrisikosyndrome (Institut für Klinische Genetik)
Terminvereinbarung unter Telefon: 0351 458 2891

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