Schmerz abschalten?

Blick auf die Asklepios Orthopädische Klinik Hohwald / Foto: Volker Metzler
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Die Asklepios Orthopädische Klinik Hohwald wird zum Vorreiter zeitgemäßer Schmerztherapie. Ein hochmodernes Instrument eröffnet neue Wege, mit extremen Schmerzen umzugehen.

Immanuel Kant – Paul Klee – Frida Kahlo. So unterschiedlich diese drei bekannten Persönlichkeiten auch waren, so einte sie dennoch ein Merkmal: alle drei litten an chronischen Schmerzen. Sie wären nicht die, als die wir sie heute noch kennen, ohne ihren Schmerz. Schmerz, der betäubend, lähmend und quälend war, aber auch antreibend. Es war auch die körperliche Pein, die Kant, Klee und Kahlo zu originellen Ideen und kreativen Ausdrucksformen trieb.

Wie geht eine Leistungsgesellschaft wie unsere mit Schmerz um, können wir ihn uns leisten, dürfen wir ihn zeigen und wie beeinflusst sie unser Schmerzempfinden?

Ein multiprofessionelles Team der Kliniken Hohwald und Sebnitz hat sich zum Ziel gesetzt, Patienten mit chronischen Schmerzen passende Behandlungsansätze anzubieten.

Als perfekt eingespieltes Team konzipieren die Ärztliche Direktorin der Asklepios Sächsischen Schweiz Klinik in Sebnitz, Dr. med. Marina Grünberger-Richter, der führende Neurochirurg der Asklepios Klinik Hohwald, OA Dr. med. Mario Leimert, die Psychotherapeutin Dr. Dagmar Luszyk sowie Physio-, Ergo- und Musiktherapeuten in Zusammenarbeit mit den Patienten individuelle Lösungen für jeden einzelnen – eine anspruchsvolle Aufgabe für alle Beteiligten, da die Betroffenen oft schon seit vielen Jahren leiden. Fakt ist, dass der Schmerz eine wichtige Aufgabe erfüllt. So ist akuter Schmerz Symptom und Warnsignal zugleich. Der große Wächter, der nicht ungestraft zu ignorieren ist. Der uns anzeigt, wo wir verletzt, geschädigt, versehrt sind. Der dann aber auch wieder geht, wenn die Ursache behoben oder verschwunden ist.

Dr. med. Marina Grünberger-Richter. Ärztliche Direktorin der Asklepios Sächsischen Schweiz Klinik Sebnitz / Foto: Thomas Schlorke

 

Dr. med. Mario Leimert, Facharzt für Neurochirurgie und Leitender Oberarzt an der Asklepios Orthopädischen Klinik Hohwald / Foto: © ANDRE FORNER_DER PEOPLEFOTOGRAF

Wenn er aber nicht aufhört?

Experten bezeichnen Schmerz, der seit mindestens drei bis sechs Monaten besteht und die Betroffenen körperlich, seelisch, geistig und sozial einschränkt, als chronisch. Er kann zur Qual werden, beeinflusst meist alle Lebensbereiche und kann Menschen sogar vollkommen verändern. Zur „Belohnung“ für das Aushalten wurden Schmerzensreiche vor Zeiten zu Heiligen, der Schmerz selbst verklärt. Die Pein zu ertragen wurde vom großen Aristoteles zum Heldentum stilisiert. Unsere heutige Auffassung ist differenzierter. Chronischer Schmerz, der sich von der Ursache gelöst hat, erhält den Status einer eigenständigen Erkrankung. Das Phänomen tritt beispielsweise bei Bandscheiben-Operationen auf: Die Ursache des Schmerzes wird erfolgreich „wegoperiert“. Der Patient fühlt sich gut. Doch dann geschieht bei einigen Patienten das scheinbar Unerklärliche. Nach drei, vier, fünf Monaten kommt der Schmerz zurück. – Der Schmerz hat sich verselbstständigt. Der Mechanismus ist auch heute noch nicht vollständig geklärt. Fakt ist jedoch, dass die Ursache in den Nervenbahnen und im Gehirn selbst zu suchen ist. Das Gehirn ist ein hochkomplexes, hocheffektives und hochflexibles Organ.

Das „Schmerzgedächtnis“ bildet sich

Im Falle des Schmerzes heißt dies, je länger er anhält, umso mehr „konzentriert“ sich das Gehirn darauf. Ein „Schmerzgedächtnis“ bildet sich. Kein Medikament kann chronische Schmerzen dauerhaft löschen. Hinzu kommt: Mögliche Nebenwirkungen wie Wahr­nehmungsstörungen oder Passivität können ebenso in die Isolation führen wie der Schmerz selbst. Schmerztherapeutin Dr. Grünberger-Richter erklärt, wie chronischer Schmerz auftritt: „Patienten nehmen schon geringste Schmerzreize bis hin zu Berührungen als Schmerzen wahr. Nervenzellen können von sich aus, nach längst abgeheilter Verletzung, Schmerzsignale an das zentrale Nervensystem senden. Das bedeutet, es tut weh, obwohl keine organische Ursache vorhanden ist. Das ,Schmerzgedächtnis‘ hat sich gemeldet. Wahrnehmung, auch die des Schmerzes, ist subjektiv und wir müssen dem Menschen Glauben schenken.“ Körper und Psyche sind in der Verarbeitung von Schmerz­reizen und somit in der Schmerzwahrnehmung untrennbar. Doch wie genau hängen sie zusammen? Letzte Gewissheit da-rüber gibt es noch immer nicht.

Die Antworten des 21. Jahrhunderts auf das Phänomen Schmerz sind komplex.

Schmerz ist ein subjektives Phänomen. Wir können nicht den Schmerz eines anderen objektiv messen. Wir wissen, dass das Schmerzempfinden nur vom Betroffenen selbst eingeschätzt werden kann. Die Wahrnehmung des einzelnen ist durch Außen­stehende weder einseh- noch bewertbar. Phantomschmerz beispielsweise wäre ohne Akzeptanz und Kenntnis eines Schmerz-Entstehungsortes im Gehirn nicht zu verstehen. Moderne Ansätze, den Schmerz zu lindern, müssen multimodal sein, da Schmerz ein multifaktorielles Geschehen ist. So kann es DIE eine Antwort nicht geben. Was kann das Schmerzteam leisten, was beispielsweise Haus­ärzte, die sich doch über Jahrzehnte mit ihren Patienten beschäftigen, nicht schaffen? Dr. Grünberger-Richter, die selbst eine ambulante Schmerz­praxis leitet: „Das eigentliche Erfolgsrezept ist Zeit – die Zeit, die wir uns nehmen können, mit dem Patienten eine echte Beziehung aufzubauen. Wir reden. Oft über alles, nur nicht über den Schmerz. Mit dem wachsenden Verständnis für die Lebensumstände der Betroffenen kann das Phänomen eintreten, dass sich die Schmerz­wahrnehmung verändert.“

Linderung durch Reden?

Nicht nur. Das Gespräch mit dem Patienten dient dazu, sich gemeinsam auf die Suche nach typischen Risikovariablen zu machen, die den Verlauf und die Aufrechterhaltung von chronischen Schmerzen entscheidend beeinflussen. Diese als psychosoziale Faktoren bezeichneten Einflüsse, können beispielsweise darin bestehen, dass der Patient aus Angst vor weiteren Schmerzen körperliche Aktivitäten vermeidet. Oder auch das genaue Gegen­teil: Er ignoriert seine Schmerzen und überschreitet so immer wieder seine Belastungsgrenzen. Beides sind Verhaltensweisen, die dem Patienten in ihrer Konsequenz oft nicht bewusst sind, aber im gemeinsamen Gespräch aufgedeckt werden mit dem Ziel einer Veränderung.

Was, wenn alle bisherigen Behandlungen keine Hilfe gebracht haben?

Im Oktober 2012 wurde erstmals in den USA ein Gerät eingesetzt, das vollkommen neue Perspektiven im Umgang mit dem Schmerz eröffnet. Ein Neurostimulator, der dem Patienten im­plantiert wird, setzt der Weiterleitung des Signals „Schmerz“ einen Gegenimpuls. Der eigentliche Schmerz „kommt“ verringert oder nicht mehr im Gehirn „an“. Der Schmerz wird „abgeschaltet“, zumindest aber enorm gelindert. Ausgesendet werden die elektrischen Impulse durch Elek­troden, die in der Nähe des Rückenmarks platziert werden. Das ist genau der Ort, an dem Umschaltung und Weiterleitung der Schmerz­impulse in das Gehirn erfolgen. Gesteuert werden die Elektroden durch einen Neurostimulator, der unter die Bauch­haut implantiert wird. Seit 2015 arbeitet auch OA Dr. Leimert mit dem 24.000 Euro teuren Gerät. Damit wird die Hohwald-Klinik als eine der ersten Ein­richtungen in Sachsen, die diese vielversprechende Thera­pie­form für ihre Patienten bereitstellt, erneut zum Vorreiter einer modernen ganzheitlichen Medizin. Bei der Implantation wird eine Elektrode durch die Haut geschoben, ein schneller und unkomplizierter Eingriff. Zunächst durchläuft der Patient eine Probephase, nach der die Wirksamkeit des Stimulators äußerst kritisch geprüft wird. Erst dann wird entschieden, ob das teure Gerät dauerhaft implantiert wird.

Mitarbeit des Patienten unerlässlich

Die technische Wirkung dieses High-End Produkts der Medizin­technik ist ein Faktor im komplexen Schmerzgeschehen. Unab­dingbare Voraussetzung für den Erfolg ist die Mitarbeit des Patienten. Er muss den Schmerz wirklich steuern wollen, und er muss es per Bedienung des Geräts auch können. Beides ist nicht selbstverständlich. Über das „Wollen“ wissen Psychotherapeuten, dass der Schmerz manchmal einen Lebensentwurf aufrechterhalten muss und deshalb, meist nicht bewusst für den Betroffenen, gar nicht wirklich verschwinden darf. Das ist ein weiterer Grund dafür, dass zu einer komplexen Schmerztherapie auch die psychotherapeutische Aufarbeitung der Lebensumstände gehört. Zum Erwerb des notwendigen Wissens und Könnens zur Be­die­nung des Gerätes erhält jeder Patient, der die Voraus­set­zun­gen für eine Implantation erfüllt, eine qualifizierte Schu­lung. Derzeit be­trifft das in Hohwald 15 Patienten jährlich. In Zu­kunft werden es 20 sein. Ausgehend von der Linderung von Bein- und Rückenschmerzen, wird die Therapie des Schmerzes ausgeweitet auch auf den Kopf und alle anderen Schmerzorte, ebenso wie auf Phantomschmerz. Ziel des Teams ist es nicht, den Schmerz pauschal abzuschalten. Umlernen, den Schmerz nicht mehr zu betäuben, sondern ihn anzunehmen als etwas, was zum Leben dazugehört, wäre die bessere Option. Ziel ist es – auf dem jeweils passenden Weg – jeden einzelnen Patienten in die Lage zu versetzen, trotz der Schmerzen Lebensqualität zu bewahren oder zurückzugewinnen.

ASKLEPIOS Orthopädische Klinik Hohwald
Hohwaldstraße 40, 01844 Neustadt/in Sachsen
www.hohwaldklinik.de
kostenlose Service-Hotline: 0800 / 275 53 74

Text: Angelika Mosshammer

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