Da Vinci und die Zukunft der Kopf-Hals-Chirurgie

Prof. Dr. Dr. Thomas Zahnert ist der Direktor der Klinik und Poliklinik für Hals-, Nasen- und Ohren­heil­kunde am Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden. Zweimal schon hat er den Innovations­preis für Medizintechnik des Bundesministeriums für Bildung und Forschung erhalten. Top-Magazin sprach mit ihm über das neue Operative Zentrum im Haus 32.

Mit dem Neubau von Haus 32 bekommen auch Sie einen modernen Arbeitsplatz im neuen Operativen Zentrum. Wie wird sich das auf die Arbeit auswirken?

Prof. Dr. Dr. Zahnert: Wir haben bis jetzt in einem denkmalgeschützten Gebäude mit sehr begrenzten Räumlichkeiten operiert, die dem heutigen Standard kaum noch  genügen dürften. Wir sind also sehr froh, dass wir bald neue OP-Säle im Haus 32 beziehen und dort eine technische Ausrüstung nutzen und einsetzen können, die international führend ist. Wir haben dann zum Beispiel zum ersten Mal die Möglichkeit, bereits  intraoperativ mittels CT und MRT bildgebend unsere Ergeb­nisse zu kontrollieren. Beispielsweise können wir bisher die Lage des Elek­tronenträgers, der an die Hörschnecke bei Cochlea-Implant-Operationen kommt, erst nach der Opera­tion überprüfen – künftig stehen uns diese Informationen während der Operation zur Verfügung und wir können gegebenenfalls darauf reagieren.

Das Gleiche trifft für Tumoroperationen zu. Wir sind ein nam­haftes Zentrum für Schädelbasistumore – das sind Tu­more, die sich an der Schädelbasis oftmals in Spalten und Knochennischen ausbreiten, mit den Nerven verwachsen und deshalb schwer operativ zu erreichen sind. Auch bei diesen Tumoren kann intraoperativ kontrolliert werden, ob sie vollständig entfernt sind. Oftmals wird dabei mittels Schlüssel­loch­chirurgie operiert, also endoskopisch durch die Nase hindurch oder über das Ohr. Damit werden der Eingriff  und das operative Trauma  klein gehalten. Doch dabei Einblick in die Nischen zu bekommen ist oftmals schwierig. Wir erwarten, dass wir mit den neuen Kontrollmöglichkeiten das Operations­ergebnis weiter verbessern können.

Prof. Dr. Dr. Thomas Zahnert, Direktor der Klinik und Poliklinik für Hals-, Nasen- und Ohren­heil­kunde am Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden / Foto: Universitätsklinikum Dresden

Welche Möglichkeiten stehen Ihnen dafür zur Verfügung?

In Zukunft können wir intraoperativ die MRT einsetzen. Diese Möglichkeit ist regional einmalig und für uns erstmalig nutzbar. Wir können also in der anatomisch besonders anspruchsvollen Region des Kopfes und der Schä­del­­basis während der Operation kontrollieren, ob Tumore vollständig entfernt sind. Dann werden wir die modernsten Navi­gations­systeme einrichten, die wir bisher vor allem aus Platzgründen, aber auch aus technischen Gründen, in unseren bisherigen Operationssälen nur begrenzt einsetzen konnten. Das sind magnetgestützte Navigationsinstrumente für die Operation, die uns ermöglichen, bis auf einen halben Milli­meter genau Strukturen am Kopf zu detektieren. Das erhöht die Patienten­sicherheit, wenn Tumore von wichtigen Strukturen wie dem Sehnerven oder Hörnerven und der Halsschlagader oder den Gesichtsnerven entfernt werden müssen. Unser Fachgebiet hat an der Schädelbasis häufig mit der Befreiung von Ner­vengewebe zu tun, welches in Tumoren eingeschlossen ist, so der Hörnerv, Gesichtsnerv, Gleichgewichtsnerv, Sehnerv, die Haupt­schlagader oder die Hauptabflussvene vom Gehirn. Das sind alles Strukturen, die am Schädel im Knochen verlaufen, die zum Teil mit scharfen Werkzeugen, wie Bohrern und Frä­sen freigelegt werden müssen. Um uns diesen Strukturen zu nähern und sie zu schonen, brauchen wir hochpräzise Instrumente.

Dafür sind wir im Haus 32 natürlich von der Bildgebung her besser aufgestellt. Wir haben dort höchstauflösende Monitore, die wir zusammen mit unseren Kamerasystemen, die zum Teil 3-D-taug­­lich sind, nutzen können, und uns so mehrdimensional an der Schädelbasis, im Ohr oder bei Tumoroperationen vom Erfolg der Operation vergewissern können. Wir haben dann einen besseren Zugang zu Systemen, die wir bis jetzt noch nicht verwenden konnten, auch aus Platzgründen. Dafür sind die Roboterchirurgie, das Da Vinci-System für Tumore des Zungengrundes, einige Beispiele.

Zusätzlich können wir natürlich auch interdisziplinär viel besser arbeiten, weil wir uns etwa während der Operation Gefäß­darstellungen ansehen können, die in der konventionellen Angiographie gemacht werden oder im Hybrid-OP. Bei Operationen an der Hauptschlagader am Hals oder bei größeren Tumoren mit Komplikationen wie Blutungen aus Tumo­ren des Halses oder des Zungengrundes, kann man während der Operation über Angiographie das entsprechende blutende Ge­fäß darstellen und die Blutung anschließend gezielt unterbinden.

Erleichtern diese Möglichkeiten den Patienten auch die Gewöhnung an implantierte Hörgeräte?

Eher nicht, aber wir werden mehr Patienten operieren können, die bis jetzt mit längeren OP-Zeiten auskommen müssen. Wir operieren im Augenblick an einem im­plan­tierbaren Hörsystem länger als wir es dann im neuen Operativen Zentrum können.

Was bedeutet das in Minuten?

Wir sind inzwischen das führende Zentrum beim Einsetzen von voll implantierbaren Hörgeräten weltweit. Sie sind von außen nicht mehr sichtbar und werden über Ak­kus aufgeladen. Diese Systeme sind allerdings erst seit anderthalb Jahren so ausgereift, dass sie zuverlässig arbeiten. Sie sind extrem anspruchsvoll in der Implantationstechnik, das heißt, die erste Operation, die wir durchgeführt haben, hat vier bis fünf Stunden gedauert. Inzwischen sind wir bei Implanta­tions­zeiten von zwei bis zweieinhalb Stunden. Ich erwarte, dass wir noch schneller werden. Dabei hilft vor allem die optische Auflösung der Kamerasysteme und der Bild­schir­me im neuen Operativen Zentrum, die eine bessere Orien­tie­rung im menschlichen Körper für den Operateur mit sich bringen. Aber auch durch die neuen Navigationssysteme, die wir dann benutzen können, werden sich die OP-Zeiten auf ein bis eineinhalb Stunden verkürzen.

Wie häufig sind Tumore im Bereich des Ohres?

Die Häufigkeit dieser Tumore ist verhältnismäßig niedrig. Aber als Zentrum für Schädelbasischirurgie operieren wir Tumore des Hör- und Gleichgewichtsnerven häufiger als andere Universitätskliniken. Wir haben in den letzten Jahren unsere Behandlungsqualität bei diesen Tumoren schrittweise verbessern können und sind inzwischen operativ so geschult, dass wir uns auch an schwierige Tumore herantrauen. In unserem Zentrum arbeiten wir mit Neurochirurgen und den Kieferchirurgen zusammen und profitieren von der interdisziplinären Expertise, dem Equipment sowie der gemeinsamen Planung des optimalen Zugangs­weges und der Vordiagnostik.

Welche Impulse konnten Sie bei der Planung des neuen Operativen Zentrums im Haus 32 geben?

Die chirurgische Medizin ist heute soweit spezialisiert, dass jedes Fachgebiet in seinem operativen Umfeld ein auf den Eingriff zugeschnittenes Profil erfordert, um ein optimales Behandlungsergebnis zu erreichen. Dies betrifft nicht nur, wie früher das Instrumentarium, sondern vor allem die digitalen Medien im Umfeld des Chirurgen. Wir haben uns in der Kopf-Hals-Chirurgie schon immer in der Patienten­lagerung und Ausrichtung unserer vielseitigen optischen Unterstützungs-Systeme hochspezialisiert auf die Eingriffs­region ausrichten müssen. Wir sind gerade mit der minimalinvasiven mikroskopischen und endoskopischen Chirurgie seit Jahrzehnten vertraut. Heute kommen jedoch weitere Assistenzsysteme hinzu, die nur bei sorgfältiger Planung der operativen Abläufe ihre Effizienz entfalten können. Hier haben wir uns intensiv in der Planungsphase des neuen OP-Zentrums eingebracht. Dabei ging es anfangs um scheinbar banale Fragen wie: Wo liegt der Kopf des Patienten optimal in der räumlichen Anordnung des OP-Saales für den Operateur, den Anästhesisten und das Team. Dann wurde es immer spezieller: Wie müssen für die Abläufe die Monitor- und Assis­tenz­systeme ausgerichtet sein, dass alle Infor­ma­tionen optimal zusammenlaufen und permanent nutzbar sind. Wir be­nötigen in der Kopf-Hals- Chirurgie mikrochirurgisches Instru­mentarium, operieren endoskopisch über Mo­ni­tore, nutzen Navigationssysteme genau wie die Informa­tionen über die bildgebende Vordiagnostik des Patienten, die auf einem sehr engem operativen Raum parallel und simultan ständig zur Verfügung stehen müssen. Schwierige Opera­tio­nen können heute schon im Vorfeld am Computer simuliert werden und reduzieren in Zukunft das Operationsrisiko. Voraus­set­zung sind jedoch das Integrieren verschiedener diag­nostischer Verfahren in eine Bildgebung, beispielsweise als CT, MRT, Angiographie und PET. Eine Fülle von Daten entstehen, die für den Operateur im Moment des Eingriffs überschaubar zur Verfügung stehen müssen. Dies erfordert nicht nur eine ausführliche und interdisziplinäre Planung, sondern vor allem eine optimale Ausrichtung der Informations­sys­teme am OP-Tisch. Dreidimensionale Bild­darstellungen der Anatomie mit Integration des mikroskopischen oder endoskopischen Bildes und der Tumorregion auf einem Bildschirm können dem Operateur mehr Sicherheit bei schwierigen Eingriffen auf engem Raum, wie in der Kopf-Hals-Region bieten. Wir haben bei den Fragestellungen aber auch in die Zukunft geschaut. Spannend waren Abschät­zun­gen, welche Assistenzsysteme wir in 5 oder 10 Jahren zu er­warten haben, und wie können wir uns in der Anordnung unserer OP-Technik schon heute  so aufstellen, dass wir diese problemlos integrieren können. Ich denke, wir haben gemeinsam mit den Planern alles in allem sehr gute Antworten gefunden, im Sinne der Behandlungs­qualität.                                                    

Interview: Uta Wiedemann

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